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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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ihr, alles nur verschiedene Ausgestaltungen dessen, was sie ausmacht.
    Sie ist da, und sie segelt hinaus und hinunter in die Fälle, hinab, hinab, und es dauert lange, denn die Fälle sind eins von Gottes großen Geheimnissen und so hoch, höher als jedes Bauwerk, und so schwebt sie wirbelnd durch die Luft, die Augen geschlossen, weil sich auch in ihr alles dreht, hinab, hinab.
    Sie fragt sich, ob sie je aufschlagen, fragt sich, ob der platschende Aufprall je kommen wird.
    Vielleicht nicht – denn Gott ist ein schlauer Gott, und er kennt sich aus mit der Unendlichkeit. Die Unendlichkeit ist ein warmer Ort, der niemals aufhört. Und dort geht es nicht um Gut und Böse, sondern nur um Frieden und Ruhe, ein Ort, den alle Wanderer zuletzt erreichen, und überall ist es rund, weil die Unendlichkeit keine Ränder gebrauchen kann.
    Und mit ihr wird das Ewige zu etwas, das sich ertragen lässt.

15
    A ls Moses Todd durch die Haustür wankt, sieht er, wie die kniende Gestalt sanft zur Seite sackt – wie ein Kartenhaus, das lautlos und schön zusammenstürzt, gefällt von einer leichten Brise.
    Sein Mädchen, seine Kleine.
    Nein, stammelt er flüsternd.
    Dann bemerkt er die Mutantin, die noch immer dasteht und unbeholfen das Gewehr umklammert.
    Nein, gottverdammt! Mit langen Sätzen steuert er auf sie zu und entreißt ihr die Waffe. Dann drückt er ihr den Lauf in die knochigen Rippen und schießt ihr zweimal in die Brust.
    Mit überraschter Miene taumelt sie zurück und stürzt mit dem Gesicht nach vorn auf den Boden. Das Blut malt bereits rote Blumen auf ihr Karokleid.
    Zum Teufel mit dir!, brüllt Moses Todd und jagt der reglos Daliegenden noch drei weitere Kugeln in den Oberkörper.
    Das war nur für uns zwei. Er weiß selbst nicht so genau, was er meint. Nur für sie und mich.
    Noch ein letztes Mal feuert er achtlos in den Hinterkopf der Mutantin. Am liebsten würde er sie nochmal töten, immer wieder, bis endlich das furchtbare Tosen in ihm abklingt. Bis er mit dem Scheuerpulver der Gewalt alle Wut und Angst und Liebe und Trauer aus seiner Brust herausgeschrubbt hat.
    Er geht hinüber zu seiner Kleinen, die seitlich im Gras liegt. Er beugt sich über sie und legt den Finger auf ihren zarten weißen Hals, um nach dem Puls zu tasten. Doch er spürt keinen, wie er es schon geahnt hat. Er streicht ihr das Haar aus dem Gesicht und hinters Ohr.
    Sie hat von den Kräften der Dinge gewusst und verstanden, was es mit der Schönheit des Landes auf sich hat. Und sie hatte keine Angst, außer vor sich selbst.
    Nachdem das Unheil seinen Lauf genommen hat, sinkt Point Comfort zurück in seine stetige Stille. Die feuchte, gedämpfte Qualität der Luft nach tagelangen Regengüssen, die Abwesenheit von Stimmen und Vogelgesang, das Tropfen und Gluckern des Wassers in den Regenrinnen der Häuser an der Straße.
    Am Ende des Blocks bewegt sich etwas. Zwei struppige Kojoten erstarren mitten im Schritt und spähen in seine Richtung. Vielleicht sind sie von den Schüssen angelockt worden, von der Verheißung ungewöhnlicher Aktivität in dieser toten Vorstadtlandschaft. Eine Weile schauen ihm die knochigen Geschöpfe in die Augen, dann schleichen sie davon, um anderswo Beute zu suchen.
    Er erinnert sich an Orte wie diesen, wie sie waren, bevor die Schaben kamen. In Wahrheit waren sie nicht viel anders. Die Reihen von Häusern wie Grabsteine in einem Friedhof. Schon damals ein Bollwerk gegen den Ansturm der Realität.
    Er wendet sich wieder dem Gesicht der Kleinen zu. Er fragt sich, wo sie hingeflogen ist, diese funkensprühende Seele, dieses brennende, spuckende Pulverfass von einem Leben. Er fragt sich, ob er es an ihrem Ausdruck erkennen kann, wohin es sie verschlagen hat.
    Und er lächelt, denn er kann es.
    Die Engel nehmen sie bestimmt mit offenen Armen auf.
    Er sorgt dafür, dass sie nicht zurückkommt – ein Schuss in den Kopf, der nicht die Schönheit ihres Gesichts verdirbt.
    Dann lässt er das Gewehr fallen und richtet sich auf, um sich zu strecken und die dampfende Luft einzuatmen, während die Vormittagssonne durch die Wolken sticht und überall die Feuchtigkeit verdampft.
    Er geht ins Haus und durch die Tür, die zur Garage führt. Mit einer Schaufel stapft er zurück in den überwucherten Vorgarten und hebt ein Grab aus, das tief genug ist, damit die Kojoten es nicht aufscharren können. Fast eine Stunde braucht er dafür. Als er fertig ist, senkt er die Kleine hinab in ihr Grab und wundert sich, wie leicht sie ist. Er fragt
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