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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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letzten Blick auf die Schwester wendet sich Temple ab und steigt die Betontreppe zur Straße hinauf.
    Die anderen Schaben sind noch weit weg, aber sie weiß, dass sie sie bald entdecken werden und dass schon wenige sich rasch in eine Meute und dann in eine wimmelnde Menge verwandeln können. Daher marschiert sie direkt zu den parkenden Autos und öffnet die Tür des roten Kompaktwagens. Der Schlüssel steckt, aber der Motor springt nicht an.
    Anschließend durchsucht sie den Jeep nach Schlüsseln und kann nichts finden, doch unter dem Vordersitz bemerkt sie einen Schraubenzieher, mit dem sie die Abdeckung vom Zündschloss hebelt. Dann tastet sie nach der Kerbe am Ende des Schlosses, steckt die Spitze des Schraubenziehers hinein und dreht.
    Der Motor hustet einige Male und startet, zitternd erwachen die Armaturenanzeigen.
    Okay, sagt Temple. Man darf auch mal Glück haben. Und der Tank is halb voll. Dann also auf mit Fahrzeugkraft in weite Fernen.
    Die Welt ist immer noch so, wie sie sie in Erinnerung hat: völlig verbrannt und fahl. Als wäre jemand mit dem Schwamm drübergegangen und hätte die ganze Farbe und Feuchtigkeit aufgesaugt, bis alles grau und knochentrocken war.
    Trotzdem freut sie sich, wieder hier zu sein. Sie hat die Bauwerke der Menschen vermisst – die ziemlich eigenartig sind, wenn man es sich mal genauer durch den Kopf gehen lässt. Diese großen Backsteinhäuser mit all den kleinen Zimmern und Einbauschränken und Türen, wie Ameisenkolonien oder Wespennester, wenn man die papierdünne Außenhaut aufbricht. Einmal, als sie noch klein war, stand sie in Orlando vor einem unglaublich hohen Gebäude und dachte, dass da wohl ein paar besonders Schlaue für den Fortschritt der Zivilisation gearbeitet hatten. Sie erinnert sich, wie sie mit dem Fuß gegen die Mauer trat, um zu sehen, ob das ganze Ding einstürzen würde, bevor sie merkte, dass sich nichts rührte und auch nie was rühren würde.
    In der ersten Stadt, die sie erreicht, entdeckt sie einen Laden an der Ecke und stoppt auf dem Gehsteig davor. Tiefstes Schabenterritorium: Überall Fleischsäcke, aber großräumig verteilt, also gibt es anscheinend nichts für sie, worauf sie Jagd machen können. Und sie sind langsam, manche kriechen nur. Hatten wohl schon lange nichts mehr zu fressen. Den Ort hier kann sie abschreiben – sie muss weiter nach Norden.
    Doch zuerst marschiert sie in den Laden. Sie stößt auf eine ganze Kiste mit den Erdnussbuttercrackern, die ihr so gut schmecken, diese Doppeldecker mit der leuchtend orangen Paste dazwischen. Sofort reißt sie eine Packung auf und futtert sie gleich im Laden, während sie durchs Schaufenster beobachtet, wie die Schaben im Schneckentempo auf sie zusteuern.
    Sie muss an die Kost auf der Insel denken.
    Und findet, im ganzen Ozean schwimmt kein Fisch, der es mit diesen Crackern aufnehmen kann.
    Sie schnappt sich den Rest der Kiste, einen Vierundzwanziger-Pack Cola, mehrere Flaschen Wasser, drei Röhren Pringles, ein paar Dosen Chili und Suppe, einige Schachteln Makkaroni mit Käse und dazu noch ein paar andere Sachen: eine Taschenlampe mit Batterie, ein Stück Seife, falls sie eine Gelegenheit zum Waschen bekommt, eine Zahnbürste und Zahncreme, eine Haarbürste und eine ganze Spindel Rubbellotterietickets, weil sie erfahren möchte, ob sie es in den alten Zeiten zur Millionärin gebracht hätte.
    Hinter dem Schalter sucht sie nach Schusswaffen und Munition, findet aber nichts.
    Dann merkt sie, dass die Schaben allmählich näher rücken, also belädt sie den Beifahrersitz mit ihrer Beute und fährt weiter.
    Als sie die Stadt hinter sich hat, öffnet sie auf einem langen zweispurigen Abschnitt eine Cola und eine weitere Packung Erdnussbuttercracker, die schmecken wie ein milchiger Himmel aus Orange.
    Beim Essen fällt ihr ein, dass es ziemlich clever von Gott war, die Fleischsäcke so zu machen, dass sie sich nicht für richtige Lebensmittel interessieren, damit für die normalen Leute genug übrig bleibt. Sie erinnert sich an einen alten Witz und muss lächeln: der über den Fleischsack, der zu einer Hochzeitsfeier eingeladen wird. Am Ende haben sie zweimal so viele Reste und halb so viele Gäste.
    Sie gluckst. Vor ihr erstreckt sich endlos die Straße.
    Eine Weile bleibt sie auf der Küstenstraße. Überall ragen struppige Palmen auf, und durch die Sprünge im Asphalt wuchert der Strandhafer. Dann biegt sie zur Abwechslung ins Landesinnere. Krokodile. Noch nie hat sie so viele Krokos gesehen.
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