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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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Sie sonnen sich auf dem schwarzen Belag des Highways, und wenn sie näher kommt, watscheln sie ohne große Eile zur Seite. Es folgen weitere Städte, ebenfalls ohne irgendein Zeichen von normalem Leben. Sie stellt sich vor, der letzte Mensch zwischen all den Fleischsäcken auf dem Planeten zu sein. Als Erstes würde sie eine Landkarte auftreiben, um zu den Sehenswürdigkeiten im ganzen Land zu reisen. In New York würde sie anfangen und sich auf abenteuerlichen Wegen bis nach San Francisco durchschlagen, wo es diese Hügel mit den steilen Straßen gibt. Sie könnte sich einen streunenden Hund oder einen zahmen Wolf zulegen und ihn neben sich sitzen lassen, damit er den Kopf aus dem Fenster streckt, und sie könnte sich ein bequemes Auto besorgen und beim Fahren Lieder singen.
    Sie nickt. Ja, das wäre genau das Richtige.
    Die Sonne wandert nach unten, und sie schaltet die Scheinwerfer ein, von denen einer noch funktioniert, so dass sie die Straße vor sich erkennen kann, wenn auch nur einseitig. In der Ferne am Horizont sind Lichter aufgetaucht. Das muss eine größere Stadt sein; sie steuert auf den schwachen Schimmer zu.
    Aber nachts auf der Straße schießen dir hässliche einsame Gedanken durch den Kopf. Sie erinnert sich, vor fünf Jahren muss es gewesen sein, als sie mit Malcolm neben sich durch Alabama fuhr. Damals war sie noch sehr jung, ja sicher, sie weiß noch, dass sie den Sitz ganz nach vorn schieben musste und selbst dann die Pedale nur erreichte, wenn sie vorn am Rand hockte. Und Malcolm war noch jünger.
    Malcolm blieb lange Zeit stumm. Er kaute gern diesen Gummi, der ihr zu süß war, und stopfte sich oft gleich zwei davon in den Mund. Eine Weile hörte sie nur sein Schmatzen, dann wurde es still, und er schaute nur noch durchs Fenster in das große schwarze Nichts.
    Was ist mit Onkel Jackson passiert?, fragte Malcom.
    Er is fort. Wir sehen ihn nich wieder.
    Er hat versprochen, dass er mir das Schießen beibringt.
    Ich bring’s dir bei. Er war sowieso nich dein richtiger Onkel.
    Um die Erinnerung loszuwerden, rollt sie das Fenster nach unten und lässt den Wind mit ihrem Haar spielen. Als das nicht richtig klappt, beschließt sie, ein Liedchen zu singen, das sie früher auswendig konnte. Sie braucht ein bisschen, bis ihr wieder alles eingefallen ist.
    Oh, mairzy doats and dozy doats and liddle lamzy divey,
    Yes, mairzy doats and dozy doats and liddle lamzy divey.
    A kiddley divey doo, wouldn’t you?
    A kiddley divey doo, wouldn’t you?
    Auf einem langen Landstraßenabschnitt gibt der Wagen den Geist auf, und sie fährt an den Rand, um einen Blick unter die Motorhaube zu werfen. Wahrscheinlich die Benzinpumpe, aber sie kann es nicht mit Sicherheit sagen, ohne unter das Auto zu kriechen und herumzufummeln. Fürs Erste kann sie sowieso nichts machen, weil der Motor zu heiß ist. Außerdem hat sie gar kein Werkzeug zum Herumfummeln, doch weiter vorn sieht sie ein Haus, etwas zurückgesetzt hinter einer schmalen Auffahrt – vielleicht gibt es dort Werkzeug.
    Am dunklen Horizont glitzern die Lichter der Stadt. In der Nacht sind Entfernungen schwer zu schätzen. Möglicherweise kann sie am Morgen zu Fuß hinmarschieren.
    Trotzdem, das Haus. Vielleicht würde sich ein Besuch lohnen.
    Sie war lange nicht mehr im Spiel und fühlt sich ziemlich wagemutig – außerdem möchte sie sich von ihren Nachterinnerungen ablenken. Also schnallt sie sich das Gurkhamesser an den Oberschenkel und steckt die Pistole in den Hosenbund – zwei Schüsse, nur für den äußersten Notfall. Mit der Taschenlampe in der Hand stapft sie über die unbefestigte Auffahrt zum Haus und trifft Anstalten, die Tür einzutreten, bloß dass das nicht nötig ist, weil sie offen steht.
    Im Haus herrscht ein Gestank, den sie kennt. Verrottetes Fleisch. Könnte eine Leiche sein, könnte auch eine Schabe sein. So oder so mahnt sie sich, durch den Mund zu atmen und die Sache schnell hinter sich zu bringen.
    Sie tastet sich zur Küche vor, wo sie von einem umgestürzten, morschen Resopaltisch und abblätternden Tapeten mit Erdbeerrankenmuster empfangen wird. Wegen der Feuchtigkeit vom Meer blühen überall pelzige, graugrüne Schimmelflecken. Auf der Suche nach Werkzeug öffnet sie nacheinander die Schubladen, doch sie findet nichts. Sie blickt durchs hintere Fenster. Keine Garage.
    Hinter einer Tür in der Küche entdeckt sie Holzstufen, die nach unten führen.
    Am oberen Ende der Treppe wartet sie kurz, um auf Geräusche im Haus zu lauschen,
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