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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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zurückgelegt. Die Journalistin biss ihre Kiefer so fest zusammen, dass ihr Zähne und Wangen schmerzten. Sie würgte Stücke ihres Frühstücks hoch und schluckte sie wieder herunter, um nicht in den Schleier zu erbrechen.
    Am blauen Himmel war wie aus dem Nichts eine einzelne große Wolke erschienen. Schaute Allah von dort oben aus zu, wie sein göttlicher Wille geschah?
    Dann war es vorbei. Die Krankenschwestern untersuchten das Opfer ein drittes Mal und schüttelten die Köpfe. Al-Shabaab-Milizionäre warfen den Leichnam auf einen der Pick-ups. Dann löste sich die Menge der Zuschauer auf.
    MacLoughlin taumelte hinter Ahmed zum Wagen zurück. Dort hob sie den Schleier und kotzte auf den Boden. Der Bajuni versuchte, sie mit dem Körper vor neugierigen Blicken zu schützen.
    „Pass bitte auf“, flüsterte er. „Selbst wenn die Islamisten dich nicht umbringen, gibt es genug Leute hier, die westliche Journalisten entführen, um Lösegeld zu erpressen.“
    MacLoumed
    Mghlin öffnete die Wagentür und ließ sich in den Sitz fallen. Als Ahmed neben ihr saß, drehte sie sich zu ihm um.
    „Warum hast du mir das gezeigt?“ Sie schlug mit den Fäusten gegen seine Brust.
    Ahmed hielt ihre Hände fest. „Wenn ich es nicht getan hätte, hättest du mir das auch vorgeworfen“, sagte er. „Und jemand muss schließlich darüber berichten.“
    Während der Rückfahrt weinte MacLoughlin still vor sich hin.
    Als Ahmed vor ihrer Hütte den Motor abstellte, beugte sie sich zu ihm hinüber. „Ich will mit den Angehörigen reden“, sagte sie mit kalter Stimme. „Ich will genau wissen, was dieses Mädchen getan hat. Warum es Gottes Wille war, sie so zu ermorden.“
    „Ich weiß. Ich habe das für heute Abend arrangiert.“ Ahmed seufzte. Sein Blick verlor sich in der Ferne.
    MacLoughlin öffnete die Beifahrertür, hob den Schleier und spuckte auf den roten Lehmboden. „Ich glaube, diesen Geschmack werde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr los.“
    Wenn es das Böse tatsächlich geben sollte, dann war sie ihm heute begegnet. Und niemals war sie sich ihrer Sache sicherer gewesen.
    Montag, 1. Juni, Sevilla, Spanien
    Die feinen, blassen Striche tanzten auf dem vergilbten Pergament. Nora Tilly kniff die müden Augen zusammen. Das eindrucksvoll verschnörkelte Initial, in dem sich der erste Buchstabe auf dem rissigen Papier versteckte, war vermutlich ein L. Oder doch ein I?
    Sie rieb sich fröstelnd die nackten Arme. Auf den Straßen Sevillas zeigte das Thermometer um 11 Uhr morgens bereits 28 Grad. Im Sala de Investigación des Archivo General de Indias war es dank der Klimaanlage dagegen sehr frisch. Sie hatte schon um kurz vor 8 Uhr vor den großen Flügeln der Eingangstür gewartet, um einen guten Platz zu bekommen. Gestern waren etliche der fast 70 Arbeitsplätze im Lesesaal von Studenten besetzt gewesen. Als Erste im Archiv hatte sie sich heute einen schönen Platz an einem der vergitterten Fenster zuteilen lassen.
    Obwohl es im Lesesaal hell war, schaltete sie die Schreibtischlampe über dem Arbeitsplatz an. Langsam ließ sie den Blick über das Blatt wandern, das vor ihr auf dem Tisch lag. Irgendwo in diesem Gekritzel musste es eine Stelle geben, die sich interpretieren ließ. Und wenn es ihr gelang, wenigstens einige Worte zu entziffern, dann würde sie ein Gefühl für die Schrift des spanischen Beamten bekommen, dessen Feder im Jahre 1716 in Havanna, Kuba, seine Spuren auf dem Pergament hinterlassen hatte. Sie war sicher, dass sie auf der richtigen Fährte war.
    Sie schob die zwei Bündel mit Dokumenten neben ihrem Laptop beiseite, um Platz für ihren Ellenbogen zu schaffen.
    Als sie die Blätter erhalten hatte, hatte sie ihren Titel voller Ehrfurcht leise übersetzt: „Schiffbruch der Flotte des Don Juan de Ubilla in Palmar de Ays, Florida, 1715.“
    Sie war nicht die Erste, die diese Papiere untersuchte. Aber vielleicht würde sie doch etwas finden, das ihre Vorgänger übersehen hatten. Es war schwierig, die Dokumente zu lesen. Das Spanisch des 17. Jahrhunderts ähnelte der modernen Landessprache, aber jeder Schreiber hatte seinen eigenen Stil, seine eigene Schreibweise, seine eigenen Abkürzungen. Das machte das Lesen alter Handschriften, die Paläografie, zu einer echten Kunst.
    Und das Dokument vor ihr war eine besonders große Herausforderung.
    Die Blätter, die sie bislang gelesen hatte, waren eine Enttäuschung gewesen. Sie bestätigten lediglich das, was man schon lange wusste. 1715 hatten sich im Hafen von
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