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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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meisten Städten des Landes verjagt hatten. Von überall her schickten die Al-Shabaab jetzt Kämpfer in die Hauptstadt, um auch dort die letzten Regierungstruppen zu vertreiben.
    Ahmed kniff die Lippen zusammen. „Vermutlich haben sie das gleiche Ziel wie wir“, sagte er schließlich. Sie schaute ihn an. Er rieb sich stumm die Schulter. MacLoughlin wusste, dass er dort eine Narbe trug. Die Kugel hatte ihn nur gestreift. Dass diese Kugel dann den Kopf seiner Frau getroffen hatte, hatte eine unsichtbare, aber weit tiefere Narbe bei ihm hinterlassen.
    Sie starrte wieder nach vorn durch die dreckige Scheibe. Sie hatte mit Ahmed ausgemacht, dass er sie hin und wieder mit Dingen konfrontierte, ohne sie darauf vorzubereiten. Die Situationen wirkten dadurch unmittelbarer auf sie, die Erfahrung war natürlicher.
    Der Pick-up bog nach rechts. Ahmed folgte ihm. Überrascht stellte MacLoughlin fest, dass sie das Weikiyu-Stadion im Osten der Stadt erreicht hatten, ein staubiges Fußballfeld mit einer kleinen Tribüne. Hinter dem Stadion lag die sichelförmige Bucht der Stadt mit ihrem weißen Sandstrand.
    „Was immer gleich geschieht, Brea …“, sagte Ahmed.
    Irritiert schaute MacLoughlin den Bajuni an.
    „Halte dich zurück. Du kannst überhaupt nichts tun.“
    MacLoughlin stieg aus und schaute sich um. Die beiden Toyota-Pick-ups waren an eine Seite des Spielfeldes gefahren, die Al-Shabaab-Kämpfer sprangen ab. Sie gesellten sich zu weiteren Milizionären. Etwa tausend Zivilisten füllten das Stadion, saßen und standen um das Spielfeld herum, die Männer in bunten Hemden und T-Shirts, weiten Hosen und Sandalen, viele trugen auch den Ma’awis, den somalischen Sarong. Manche hatten sich ein Tuch zum Turban um den Kopf geschlungen. Die meisten Frauen versteckten ihre Körper wie MacLoughlin unter einem schwarzen oder braunen Jalaabiib, einige mutige waren stattdessen in langen, bunten Röcken erschienen oder hatten sich in farbige Tücher gewickelt. Alle trugen Kopftücher, aus denen nur die ernsten dunklen Gesichter herausschauten. Kinder liefen zwischen den Erwachsenen herum.
Ahmed und MacLoughlin gesellten sich zu ihnen. Einige Menschen schienen neugierig und erwartungsvoll, andere bedrückt.
    Ein Lastwagen rollte auf das Spielfeld und kippte eine Ladung faustgroße Steine auf den Boden. Jetzt erst fiel MacLoughlin das Loch im Boden auf, um das einige Milizionäre herumstanden. Sie packte Ahmed am Arm. „Das darf doch nicht wahr sein“, sagte sie heiser. „Sag, dass das nicht wahr ist.“
    Ahmed wich ihrem Blick aus. Seine Wangenmuskeln traten hervor. „Bitte halte den Mund, Brea“, flüsterte er.
    Ein weiterer Wagen fuhr auf das Spielfeld, wieder ein Pick-up. Mehrere Männer hoben eine Gestalt von der Ladefläche, eingehüllt in grüne Tücher, der Kopf vollständig von einem schwarzen Schleier verdeckt. Ein Raunen ging durch die Menge. MacLoughlin drängte sich nach vorn. Ein Schrei ging ihr bis ins Mark. Es war der Schrei einer jungen Frau.
    „Was wollt ihr von mir?“, übersetzte Ahmed leise, der sich hinter MacLoughlin gestellt hatte. Die Irin sah, wie sich die verschleierte Frau im Griff der vermummten Milizionäre wand. Ein Mann in einem bis zum Hals zugeknöpften grauen Kittel stieg aus dem Wagen und baute sich vor der Gruppe auf. Eine enge, graue Kappe aus Wolle bedeckte seinen Scheitel. Über den wulstigen Lippen hockte ein dünner, grauer Schnurrbart. Mit wichtiger Miene brüllte der Mann die junge Frau an.
    „Einer der Richter“, erklärte Ahmed. „Wir werden tun, was Gott uns geboten hat.“
    Die verschleierte Gestalt krümmte sich schreiend, versuchte die Hände, die sie hielten, abzuschütteln. Doch ihre Arme und Beine waren offenbar zusammengebunden.
    „Ich gehe nicht, ich gehe nicht“, flüsterte Ahmed mit erstickter Stimme. „Tötet mich nicht, tötet mich nicht.“
    Über MacLoughlins Augen legte sich ein roter Schleier. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Ahmed übersetzte weiter, was der Richter der Menge zurief.
    „Du hast gestanden, die Ehe gebrochen zu haben. Du hast darum gebeten, dich der verdienten Strafe auszusetzen. Mehrfach haben wir dich aufgefordert, dein Geständnis zu überdenken. Du aber bist bei deiner Entscheidung geblieben. Im Namen Allahs, des Barmherzigen, wirst du zum Tode verurteilt durch Steinigung.“
    Die Büttel des Richters hatten die Frau zu dem Loch im Boden geschleppt. Das Opfer schrie und wehrte sich verzweifelt. MacLoughlin ballte ihre zitternden
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