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Mythos

Mythos

Titel: Mythos
Autoren: Markus C Schulte von Drach
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Hände zu Fäusten. Die Menge wurde lauter. War es Zustimmung oder Empörung?
    Die Vermummten ließen ihr Opfer in die Grube hinunter. Die Frau verschwand bis zum Hals in der Erde. Mehrere Dutzend Zivilisten, die ihre Gesichter hinter der Kufya verbargen, hatten sich an dem Steinhaufen versammelt. Der Richter marschierte mit gewölbter Brust hinüber und hob einen der Steine in die Höhe.
    MacLoughlin hatte das Gefühl, verrückt zu werden. Sie wusste, dass solche Dinge geschahen. Doch ihr Verstand weigerte sich zu glauben, dass das hier und jetzt wirklich passierte. Es würde doch niemand im Ernst Steine auf ein junges Mädchen werfen.
    Die Büttel des islamischen Gerichts hatten ihre Arbeit beendet. Ohne weitere Worte holte der Richter aus und warf den Stein. Die Menge schrie auf.
    Der Stein landete dicht neben der jungen Frau. Sie spürte die Erschütterung des Bodens. Sie heulte auf und warf den Kopf zur Seite.
    Sie machen ihr nur Angst, dachte MacLoughlin. Das war furchtbar grausam, aber das Opfer würde das Spektakel überleben. Sie würden sie sicher begnadigen.
    Dann drehte sich der Richter um. Zum ersten Mal konnte MacLoughlin ihm direkt ins Gesicht schauen. Und ihre Hoffnung auf Erbarmen verschwand. Seine Miene drückte Selbstgefälligkeit aus und die absolute Gewissheit, Gottes Befehlen zu folgen. Dieser Mann hatte nicht die geringsten Zweifel. Denn das Urteil war die Entscheidung Allahs. Es gab keinen Grund für Skrupel. Allah war barmherzig denen gegenüber, die seine Gnade verdienten. MacLoughlin begrchtoughliniff, dass der Richter tatsächlich mit Absicht daneben geworfen hatte. Das Opfer durfte nicht durch den ersten Stein sterben – das wäre zu viel der Gnade gewesen.
    MacLoughlin machte einen Schritt nach vorn, wollte den Arm heben, Einhalt gebieten. Hört auf, schrie sie stumm. Das ist doch Wahnsinn.
    Ahmed legte ihr die Hand auf den Arm, hielt sie mit Gewalt fest, als die Vermummten mit der Tortur begannen. Auch ohne Ahmeds Hilfe wusste MacLoughlin, was die Mörder schrien. „Allahu Akbar.“ Gott ist groß.
    Mit dumpfen Schlägen trafen die ersten Steine den Kopf der jungen Frau. Ihre Schmerzensschreie übertönten den Lärm.
    MacLoughlin griff sich an die Schläfe, als wäre sie selbst getroffen worden. Sie taumelte, stieß gegen ihre Nachbarin. Die Zuschauer wurden immer lauter. Einige Menschen drängten nach vorn, zornige Gesichter schrien auf die Milizionäre ein, die warnend ihre Gewehre hoben.
    Die Leute leisten tatsächlich Widerstand, dachte MacLoughlin. Es waren also nicht nur Gaffer und von den Al-Shabaab herangekarrte Islamisten. Hoffnung brandete in ihr auf. Sie versuchte ebenfalls nach vorn zu drängen. Doch der Bajuni hielt sie entschlossen fest.
    Al-Shabaab-Kämpfer bauten sich vor ihnen auf, die Schnellfeuergewehre im Anschlag.
    Dann fielen Schüsse. MacLoughlin sah kleine Staubfontänen vom Boden aufsteigen, eine nach der anderen, immer dichter vor den wütenden Zuschauern. Dann schlugen Kugeln in Körper ein. Einige der Zuschauer in der ersten Reihe wurden zurückgeschleudert, die dahinter warfen sich zu Boden. Ein kleiner Junge saß auf der Erde und schaute mit großen Augen auf seinen Bauch hinunter. Blut breitete sich über sein Hemd aus, strömte in den Sand. Die Zuschauer zogen sich ein Stück zurück.
    Einige besonders Mutige packten die verletzten Zuschauer und schleppten sie zum Ausgang des Stadions. Die Büttel des Gerichts fuhren unbeeindruckt fort, Steine auf ihr Opfer zu werfen.
    MacLoughlin fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Sie war mit allen anderen von Panik erfüllt zurückgewichen. Jetzt stützte sie die Hände auf die Knie und versuchte, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Hin und wieder hörte sie über das Gemurmel der Menschen dumpfe Schläge. Dann war es still.
    Sie schaute auf. Mehrere Vermummte zerrten das Opfer aus der Grube heraus, um das sich eine dunkle Lache gebildet hatte, und ließen das Bündel achtlos auf den Boden fallen. Zwei Frauen kamen heran, beugten sich über das Mädchen.
    „Krankenschwestern aus dem Kismaayo Hospital“, flüsterte Ahmed. „Das Gericht zwingt sie festzustellen, ob das Opfer noch lebt.“ Er hatte die Hände auf seine Wangen gelegt und schüttelte den Kopf.
    Offenbar lebte die Frau noch. Die Vermummten schoben sie in die Grube zurück, erneut flogen Steine. MacLoughlin schauderte. Ihre Glieder fühlten sich an wie steif gefroren. Noch ein weiteres Mal wurde das Opfer aus dem Loch geholt, untersucht und wieder
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