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Mythor - 100 - Die Tochter des Kometen

Mythor - 100 - Die Tochter des Kometen

Titel: Mythor - 100 - Die Tochter des Kometen
Autoren: Wolf Paul
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diesem Augenblick in diesem Stein geschlafen hätte. Darum sei ich so glücklich gewesen. Geschlafen und geträumt vom Leben, von meinem Leben und dem anderer. Und ob ich mich denn wieder schlafen legen wolle, oder lieber in wachem Zustand in dieser ungastlichen Landschaft leben?
    Ich flehte sie an, mich wieder in den Stein zu legen. Ich hatte ja keine Ahnung, ich war ein unwissendes Kind. Und Zeremia erhörte mein Flehen und legte mich in den Stein zurück, so daß ich wieder träumen durfte.
    Und so schlief und träumte ich. Nur gelegentlich weckten mich die Zaubermütter und ließen mich die Wirklichkeit schauen. Die ersten Male war ich so unglücklich darüber, daß ich lieber sterben wollte, als wach zu sein. Aber Zeremia und die anderen Zaubermütter verstanden es, mich von der Notwendigkeit, mich in gewissen Abständen zu wecken, zu überzeugen. Es sei nämlich so, sagten sie, daß ich mich für immer in meinen Träumen verlieren könnte, wenn ich nicht gelegentlich zu mir käme. Der Stein verleihe mir zwar die Gabe, der Wirklichkeit vorauszuträumen, aber ich könnte ihm auch für immer verfallen.
    Was daran so schlimm sei, wollte ich wissen. Die Zaubermütter schwiegen bedeutungsvoll. Ich bedrängte sie nicht mit Fragen, denn schon damals flößten sie mir eine unerklärliche Furcht ein, doch damals wurde ich von der Angst geplagt, daß sie mir, wenn ich nicht artig war, die Träume für immer nehmen könnten.
    Allmählich begann sich meine Einstellung jedoch zu wandeln. Während der Wachperioden fand ich heraus, daß die Wirklichkeit so schrecklich nicht war. Und ich erfuhr, daß meine Träume nichts anderes als Spiegelbilder dieser Wirklichkeit waren. Zu meinem Gesinnungswandel, der langsam genug vor sich ging, trug auch bei, daß sich auch meine Trauminhalte änderten.
    Meine Träume waren längst nicht mehr unbeschwert und von kindlicher Unschuld. Sie wurden immer bedeutungsvoller und inhaltsschwerer. Hinzu kam noch, daß mich die Zaubermütter während der Wachperioden darüber aufklärten, daß ich mit meinen Träumen die Geschicke der Welt lenkte. Diese Träume, so berichteten sie mir, würde ich an viele Träumerinnen in ganz Vanga schicken, die sie zu deuten versuchten, und nach deren Deutung der Lauf der Dinge gesteuert wurde.
    So wurden mir die Träume zur Last. Ich bat die Zaubermütter, es mir zu gestatten, außerhalb des Schreines zu leben. Doch das wollten sie mir nicht gestatten. Sie zwangen mich zum Schlafen und Träumen. Sie zeigten mir auf, welche bedeutende Aufgabe mir zukam, daß ich Herrin über die Welt und das Schicksal unzähliger Frauen und auch Männer und Tiere, ja, sogar der Pflanzen sei. Aber die wahren Herrinnen waren immer sie.
    Nach und nach erfuhr ich den schrecklichsten Teil der Wahrheit. Es erwies sich nämlich, daß Zeremia mich damals, als sie mich fand, in eine Scheinwelt gestellt hatte. Sie hatte mir diese schreckliche Landschaft vorgegaukelt, um mir Angst vor dem Leben zu machen, so daß ich freiwillig in meine Träume floh. Sie hat es mir auf dem Totenbett gestanden und mich um Verzeihung gebeten. Ich habe ihr verziehen. Ich mußte ihr verzeihen, denn eines war ehrlich von ihr gemeint und selbstlos: Sie zerbrach ein einzelnes Leben, um Tausende und Abertausende vor schlimmstem Ungemach zu bewahren.
    Und darum dürfte ich eigentlich nicht über das Opfer klagen, das ich zu bringen hatte. Aber da ich nicht besser als jede andere bin, bin ich doch froh darüber, dem goldenen Käfig des Hexensterns entflohen zu sein.
    Was nutzte es, daß die Zaubermütter meinen Schrein verschönern ließen, den häßlichen Meteorstein zum Bildnis der Urmutter Vanga formten? Was half es, daß sie mich während der Wachperioden mit Jungfrauen umgaben, die mir alle Wünsche von den Augen ablasen? Ich war viel zuwenig wach.
    Zeremia hat mich vor vielen hundert Jahren gefunden. Damals war ich ein kleines Mädchen. Heute habe ich das Aussehen einer Frau von etwa zwanzig Jahren. Ich bin also in den vielen hundert Jahren nur um ungefähr fünfzehn Jahre gealtert - solange war ich insgesamt wach. Die übrige Zeit habe ich geschlafen und geträumt und bin darum nicht gealtert. Ich wäre lieber schon längst zu Staub zerfallen, hätte ich dafür leben dürfen.
    Ich hatte zeitlebens nur eine einzige Freundin. Die Jungfrauen, die mir nacheiferten, bis sie äußerlich Ebenbilder von mir waren, zählen nicht. Diese Freundin war Ambe. Ich erinnere mich noch gut an sie. Sie war die einzige, die meine
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