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Mystic River

Titel: Mystic River
Autoren: Dennis Lehane
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Viele Jungen hatten huckelige Aknebeulen und brachen die Schule vorzeitig ab. Einige Mädchen trugen Umstandskleider zur Abschlussfeier.
    Wenn ihre Väter nicht gewesen wären, hätten Jimmy, Dave und Sean wohl niemals Freundschaft geschlossen. Unter der Woche trafen sie sich nie, aber es gab ja die Samstage und die waren etwas Besonderes, ob sie sich nun auf dem Hinterhof herumdrückten, durch die Kiesgruben an der Harvest Street streiften oder in die U-Bahn stiegen und ins Stadtzentrum fuhren – nie um sich etwas anzusehen, sondern um durch die dunklen Tunnel zu rasen und das Rattern und Bremsenkreischen der Waggons zu hören, wenn sich der Zug in die Kurve legte und die Lampen flackerten –, dann glaubte Sean immer, er würde das Atmen vergessen. War man mit Jimmy zusammen, war alles möglich. Vielleicht wusste Jimmy, dass es Vorschriften gab – in der U-Bahn, auf der Straße, im Kino –, aber er ließ es sich nicht anmerken.
    Einmal waren sie auf der South Station und warfen sich auf dem Bahnsteig einen orangefarbenen Straßenhockeyball zu, da verpasste Jimmy Seans Wurf und der Ball hüpfte auf die Schienen. Noch bevor Sean ahnte, was Jimmy in den Sinn kommen könnte, war der vom Bahnsteig auf die Schienen zu den Mäusen und Ratten und der Stromleitung gesprungen.
    Die Menschen auf dem Bahnsteig drehten beinahe durch. Sie schrien Jimmy an. Eine Frau wurde so grau wie Zigarrenasche, ihre Knie knickten ein und sie kreischte: »Komm da raus, komm sofort wieder hoch, verdammt noch mal!« Sean nahm ein sattes Grummeln wahr, das von einem Zug, der an der Washington Street in den Tunnel fuhr, oder von den oben über die Straße rollenden Lkws stammen konnte. Die Leute auf dem Bahnsteig hörten es ebenfalls. Sie fuchtelten mit den Armen, blickten sich panisch nach der Bahnpolizei um. Ein Mann hielt seiner Tochter die Hand vor die Augen.
    Jimmy senkte den Kopf und suchte den Ball in der Dunkelheit unter dem Bahnsteig. Er fand ihn. Mit dem Hemdsärmel wischte er einen schwarzen Fleck ab, ohne auf die Menschen zu achten, die an der gelben Linie knieten und ihm die Hände entgegenstreckten.
    Dave stupste Sean an und sagte mit lauter Stimme: »Klasse, oder?«
    Jimmy schlenderte gerade die Schienen entlang, um zur Treppe am hinteren Ende des Bahnsteigs zu gelangen, wo der dunkle Tunnel gähnte, da erschütterte ein noch tieferes Grummeln den Bahnhof. Jetzt sprangen die Menschen auf und ab und schlugen sich auf die Hüften. Jimmy ließ sich Zeit, bummelte beinahe, dann blickte er sich über die Schulter zu Sean um und grinste.
    Dave sagte: »Der lacht! Der ist doch verrückt. Oder?«
    Als Jimmy die unterste Stufe der Zementtreppe betrat, schossen mehrere Hände zu ihm hinunter und rissen ihn hoch. Sean sah, wie Jimmys Beine nach links geschleudert wurden und sein Kopf nach rechts kippte. Im Griff eines großen Mannes wirkte Jimmy so klein und leicht, als wäre er mit Stroh gefüllt. Jimmy presste den Ball fest an die Brust, obwohl die Leute nach seinen Ellenbogen griffen und sein Schienbein gegen den Bahnsteigrand schlug. Sean merkte, dass Dave neben ihm zitterte, er war völlig am Ende. Sean betrachtete die Menschen, die Jimmy nach oben zogen, und erkannte keine Sorge oder Angst, keine Hilflosigkeit mehr in ihren Gesichtern, dabei war das vor einer Minute noch ganz anders gewesen. Jetzt sah er nur noch Wut, Monsterfratzen, wilde, verzerrte Gesichter, die sich auf Jimmy stürzen, ein Stück aus ihm herausbeißen und ihn dann totprügeln wollten.
    Sie hievten Jimmy auf den Bahnsteig und hielten ihn fest, gruben die Finger in seine Schultern und schauten sich nach jemandem um, der ihnen sagen konnte, was sie tun sollten. Der Zug preschte aus dem Tunnel und jemand schrie auf, aber dann lachte einer – ein kreischendes Gegacker, das Sean an Hexen um einen Kessel erinnerte –, weil der Zug auf der anderen Seite herauskam, von Süden, und Jimmy guckte zu den Leuten hoch, die ihn festhielten, als wolle er sagen: Na, also!
    Neben Sean kicherte Dave kurz und hell und erbrach sich in seine Hände.
    Sean wandte sich ab und fragte sich, was er mit all dem zu tun hatte.
     
    An dem Abend wurde Sean von seinem Vater in den Hobbyraum im Keller gerufen. Der Hobbykeller war ein kleiner Raum mit schwarzen Schraubstöcken und Kaffeedosen voller Nägel und Schrauben. Holzscheite lagen ordentlich gestapelt unter der zerkratzten Werkbank, die den Raum teilte; Hämmer hingen wie Pistolen im Holster in Werkzeuggürteln und an einem Haken
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