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Mystic River

Titel: Mystic River
Autoren: Dennis Lehane
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baumelte das Blatt einer Bandsäge. Seans Vater, der bei den Nachbarn oft als Handwerker aushalf, ging immer in den Keller, um Vogelhäuschen zu bauen – oder Regale, die er für die Blumen seiner Frau vor den Fenstern anbrachte. Hier hatte er die hintere Veranda entworfen, die er zusammen mit seinen Freunden in einem glühend heißen Sommer, als Sean fünf Jahre alt war, aus dem Boden gestampft hatte, und hierhin stieg er hinunter, wenn er seine Ruhe haben wollte, und manchmal auch, das wusste Sean, wenn er böse war, böse auf Sean oder Seans Mutter oder auf seine Arbeit. Die Vogelhäuschen – Miniaturbauten im Tudor-, Kolonial- oder viktorianischen Stil oder kleine Schweizer Chalets – stapelten sich irgendwann in einer Ecke des Kellers. Es waren so viele, dass Sean am Amazonas hätte leben müssen, um genügend Vögel zu finden, die darin hätten wohnen können.
    Sean saß auf dem alten roten Barhocker und fummelte mit den Fingern in einem dicken schwarzen Schraubstock herum, tastete nach den mit Öl vermischten Sägespänen, bis sein Vater ihn ermahnte: »Sean, wie oft muss ich dir das noch sagen?«
    Sean zog den Finger heraus und wischte die Schmiere mit seiner anderen Hand ab.
    Sein Vater nahm zwei Nägel von der Werkbank und warf sie in eine gelbe Kaffeedose. »Ich weiß, Jimmy Marcus ist dein Freund, aber wenn ihr beiden weiterhin zusammen spielen wollt, dann nur in Sichtweite des Hauses. Unseres Hauses, nicht seines.«
    Sean nickte. Sich mit seinem Vater anzulegen war sinnlos, wenn er so leise und langsam sprach wie jetzt, wenn jedes Wort aus seinem Mund kam, als wäre ein kleiner Stein daran festgebunden.
    »Haben wir uns verstanden?« Sein Vater schob die Kaffeedose nach rechts und blickte auf Sean hinunter.
    Sean nickte. Er beobachtete, wie die dicken Finger seines Vaters Sägemehl von den Fingerspitzen rieben.
    »Wie lange?«
    Sein Vater zog einen Staubfaden von einem Haken an der Decke. Er rollte ihn zwischen den Fingern und warf ihn in den Mülleimer unter der Werkbank. »Hm, eine Zeit lang, denke ich. Und noch was, Sean!«
    »Ja?«
    »Komm nicht auf die Idee, deswegen zu deiner Mutter zu rennen. Nach der Vorstellung heute möchte sie, dass du überhaupt nicht mehr mit Jimmy spielst.«
    »Er ist doch gar nicht so schlimm! Er ist …«
    »Das habe ich auch nicht behauptet. Er ist einfach ungestüm und davon hat deine Mutter allmählich die Nase voll.«
    Sean sah etwas im Gesicht seines Vaters aufblitzen, als er »ungestüm« sagte. Sean wusste, dass er gerade einen Blick auf den anderen Billy Devine erhascht hatte, den er aus Gesprächsfetzen hatte zusammensetzen müssen, die er bei Tanten und Onkeln aufgeschnappt hatte. Den »alten Billy« nannten sie ihn. »Der Raufbold«, hatte Onkel Colm mal lächelnd gesagt; der Billy Devine, der vor Seans Geburt verschwunden und von diesem ruhigen, umsichtigen Mann mit den dicken, flinken Fingern ersetzt worden war, der zu viele Vogelhäuschen baute.
    »Vergiss nicht, was wir besprochen haben!«, erinnerte ihn sein Vater und klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter.
    Sean verließ den Hobbyraum, lief durch den kalten Keller und fragte sich, ob er Jimmys Gesellschaft aus demselben Grund genoss, aus dem sein Vater gerne mit Mr. Marcus zusammen war, sich vom Samstag in den Sonntag trank, zu laut und zu plötzlich lachte, und ob es das war, wovor seine Mutter Angst hatte.
     
    Einige Samstage später kamen Jimmy und Dave Boyle ohne Jimmys Vater zu den Devines. Sie klopften an die Hintertür, als Sean gerade mit dem Frühstück fertig war und er hörte, wie seine Mutter die Tür öffnete und sagte: »Guten Morgen, Jimmy! Morgen, Dave!« Sie sagte es in dem höflichen Ton, den sie immer bei Menschen anschlug, bei denen sie nicht sicher war, ob sie sich freute, sie zu sehen.
    An diesem Samstag sprach Jimmy nicht viel. Sein Übermut und sein Elan schienen sich in ihm verkrochen zu haben. Sean konnte beinahe spüren, wie sie von innen gegen Jimmys Brust hämmerten und Jimmy gegen sie ankämpfte. Er wirkte kleiner, düsterer, als würde er beim kleinsten Nadelstich zerplatzen. Sean kannte diese Stimmung bei Jimmy. Jimmy war schon immer ein wenig launisch gewesen. Trotzdem ging es Sean jedes Mal nahe und er fragte sich, ob Jimmy etwas dagegen tun konnte oder ob dieser Trübsinn ihn überfiel wie ein Kratzen im Hals oder wie die Cousins von Seans Mutter, die vorbeischauten, egal ob man sie sehen wollte oder nicht.
    Dave Boyle war besonders nervtötend, wenn Jimmy
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