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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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Letzteres ist für meinen Mann leichter, weil er, warum auch immer, nicht so schnell Ehrenämter kriegt wie ich. Ich übernehme die Elternsprechtage und wir wechseln uns täglich ab mit gesund geschmierten Pausenbroten und geschnippelten Obstbeilagen.
    Bei all dem ist klar - je besser wir als Eltern ausgebildet sind, umso schöner können wir Mathematik, Englisch und Grammatik coachen, können wir Aufsätze und Vorträge begleiten, können wir konstruktive Gespräche mit den Lehrern führen. Es ist unnötig zu sagen, dass schulbildungsferne Familien hier den Kürzeren ziehen. In kaum einer anderen Nation in Europa ist die Herkunft der Familie für den Bildungsabschluss so bedeutend wie in Deutschland. Die Unterschiede zwischen den Kindern werden generell immer größer und können durch die Schule kaum aufgefangen werden. Selbst in Bayern, dessen Schulsystem einige der besten PISA-Ergebnisse einbrachte, sind 99 Prozent der Grundschullehrerinnen bei einer Umfrage des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes 2008/2009 der Meinung, dass es bessere Unterrichtsbedingungen braucht, um der zunehmenden Heterogenität gerecht zu werden. Und 90 Prozent der Lehrer und Lehrerinnen stimmen zu, dass »Fördern und Fordern, Erziehen und Disziplinieren von einer Person« in der Klasse nur mehr schwer zu leisten ist. Je mehr wir Mütter und Väter aber einspringen, um dieses Manko auszugleichen, desto unverzichtbarer machen wir uns. Das System baut inzwischen auf unserem Engagement auf. Es fällt schmerzlich auf, wenn wir ausfallen. Das Lerntempo ist hoch. Irgendwelche Kinder mit engagierten Eltern sind immer mit der Nase vorweg und bestimmen das Leistungsniveau und den Notenspiegel in einer Klasse. Zensuren werden ja stets in Relation zu anderen gegeben.

    Wir fühlen uns etwas wie in einem Trainingslager. Wir sind ein bisschen atemlos. Wir helfen unserem Kind, den Anforderungen gerecht zu werden, und genau das wird auch von uns erwartet. Die Buchhandlungen, Internetforen und Zeitschriften sind voll guter Ratschläge, wie wir Eltern unsere Schulkinder erfolgreich coachen können. Und neben sorgfältiger Hausaufgabenbetreuung, ehrenamtlichem Engagement und gesunder Frühstücksproduktion ist vor allem die Motivation des Schulkindes ein ganz wichtiger Faktor. Es ist wieder diese alte Frage, um die sich alles dreht: Wie kriege ich das Kind dazu, trotz aller Umstände gerne zur Schule zu gehen und gute Noten zu schreiben?
    Unter Eltern grassieren verschiedene Methoden. Sehr beliebt ist: Loben, loben, loben! Und zwar ohne Zensuren.
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    Â»SUPER! DAS MACHST DU GANZ TOLL!«
    Â 
    Wenn das Kind den Braten riecht und das nicht mehr hilft: Belohnungen in Aussicht stellen. Manche Eltern versprechen begehrte Wertsachen, die andere Kinder vor Neid erblassen lassen, oder hohe Geldbeträge, wenn die Zeugniszensuren gut sind. Aber das ist recht risikoreich und empfiehlt sich nur für Eltern, die ihrer Sache ziemlich sicher sind, weil es bei schlechten Noten umso mehr Frustration und Geheul im Hause gibt. Dagegen eignen sich Belohnungen wie Zoobesuche, Eis essen oder Kinonachmittage. Das positive Signal kommt rüber und das Wegbleiben desselben wird von Kindern erstaunlich gut verkraftet.
    Eine beliebte und pädagogisch anerkannte Methode bei generellem Schulfrust ist auch: »Zeigen Sie Ihrem Kind die Vorteile der Schule auf.« Oder anders: Wie rede ich die Schule schön?
    Â 
    Â»Schau mal«, sag ich, »die Lehrerin hat so viele Kinder in der Klasse. Das hat sie mit dem Schimpfwort gar nicht so gemeint. Das geht nicht gegen euch. Sie ist einfach ein bisschen nervös.«

    Â»Das ist doch auch eine Chance, wenn Lehrer und Kinder kommen und gehen«, sage ich. »Da kannst du neue Unterrichtsmethoden und neue Freunde kennenlernen.«
    Â»In jedem Ende steckt auch ein neuer Anfang«, sage ich.
    Â»Das nächste Mal wird es bestimmt besser. Pass mal auf!«, sage ich.
    Â 
    Und ich sage noch viel mehr solche merkwürdigen Sachen, mit denen ich versuche, meiner Tochter Denkstrategien aufzuzeigen, wie sie in diesem Leistungssystem gut überleben kann. Ich werde Motivationstrainerin und Seelentrösterin, versuche Freude aufzubauen und Frust abzubauen. Und dann beiße ich mir ab und an traurig auf die Lippen, weil mein Kind so früh lernen muss, sich nur auf sich selbst und Mama und Papa zu verlassen. Weil in unserer Gesellschaft
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