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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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Förderung. Es kostet uns Mütter fast genauso viel Zeit, mit unseren Kindern zu Ärzten, Ergotherapeuten, Logopäden, Krankengymnasten, Osteopathen oder Lerntherapeuten zu gehen, wie von Anfang an die eingehende Recherche nach weiteren Verbesserungswegen zu betreiben. Denn es gibt die Qual der Wahl. Es gibt ja keinen vorgeschriebenen Pfad, nur vorgeschriebene Ziele.
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    Und wenn es nichts zu beanstanden gibt? Auch dann können die Babys nicht einfach machen, was sie wollen, und entspannt in den Tag hinein leben und sich mal eben so von selbst entwickeln. Nein, das Babyalter ist für die ganze Zukunft entscheidend. Ein erfolgreiches, glückliches Leben beginnt in den Windeln. Frühförderung ist angesagt. Wir tragen unsere winzigen Kinder zu den richtigen Kursen und treiben sie mütterlich liebevoll an, mal etwas schneller zu machen, weil die anderen sie sonst überholen. Was nett beginnt mit Singen, Spielen, Schwimmen und Turnen, wird im Vorschulalter immer mehr zur zeitraubenden Pflichterfüllung. Musik-, Kunst- und Kochprojekte, Klavier, Englisch, Computer, Schach, vielleicht Tennis, Fußball, Reiten, Karate, Ballett und Yoga? Kein Problem, wir kriegen alles hin. Nicht nur in Baby-oder Krabbelgruppen, Arztpraxen, Müttervereinen, Kindergärten, Grundschulen und weiterführenden Lehranstalten, sondern auch in den Medien geht es ständig und immer wieder um die Frage: Wie können unsere Kinder und wir besser werden? Wie können wir Tag für Tag unserem Nachwuchs das Beste bieten? Nahezu alle Mütter, die ich kenne, sind äußerst lernwillig und eifrig. Wir Mütter studieren unsere Kinder bis ins kleinste Detail und werden zu ihren Terminplanerinnen, Chauffeurinnen, Assistenzlehrerinnen und Hausaufgabenbetreuerinnen, zu Hobbypsychologinnen und Leistungscoachs, zu flexibel einsetzbaren ehrenamtlichen Hilfskräften in Kindergarten und Schule. Wenn wir an unsere Grenzen kommen, greifen wir zu Nachhilfeinstituten,
Therapien und Medikamenten. Und wehe, wenn eine Mutter nicht mitmacht! Kindergarten, Schule, Ärzte, Institutionen, Familie, Freunde, Nachbarn, Bekannte und andere Mütter haben immer gern einen Ratschlag parat.
    Ja, schlimmer noch: Seit dem Moment zu Beginn meiner Schwangerschaft, in dem mein Gynäkologe mich milde lächelnd zwang, mit ihm über Abtreibung zu reden, weil mein Baby vielleicht nicht perfekt gestaltet sein könnte, hatte ich zunehmend das Gefühl, für dumm gehalten zu werden. Meine Autorität als Mutter wurde nicht gesehen. Ständig mischten sich Ärzte, Erzieher, Lehrer und andere Mütter ohne Hemmungen in unser Leben ein, weil sie uns »verbessern« wollten. Und ich wurde mit Handreichungen für Mütter und Kinder überschüttet, die mir schon allein wegen der Überfülle den Tag vermiesten. Dabei bin ich eine ganz normale Frau und meine Töchter sind ganz normale Kinder. Wir sind weder begriffsstutzig noch verhaltensauffällig. Wir leben in keiner Sekte, sind nicht drogenabhängig oder in einer kriminellen Vereinigung. Mein Mann und ich und die Kinder sind eigentlich eine ganz normale Familie.
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    Ich lebte mehrere Jahre in Paris und Kalifornien, studierte und arbeitete in diversen Städten und Unternehmen. Aber jetzt ist mein selbstständiges Denken und Handeln nicht mehr gefragt. Heute bin ich Mutter in Deutschland und muss offenbar als solche ständig belehrt werden, obwohl ich bei der Geburt meines ersten Kindes 35 Jahre alt war und bis dahin keine Zweifel aufkommen ließ, über gesunden Menschenverstand zu verfügen. Aber es geht ganz offensichtlich nicht mehr darum, was ich als Frau im Leben will, weiß oder kann. Es geht darum, was meine Töchter nach Meinung der anderen einmal leisten sollen. Kinder sind unsere Zukunft, Kinder sind unser Kapital. Die Gesellschaft braucht Talente. Gesund, talentiert, innovativ und geschickt sollen die lieben Kleinen nämlich nichts anderes, als einmal die Zukunft unseres Landes retten, die wir gerade in den Sand setzen.
    Das ist nicht wenig, und ja, ich gebe es offen zu, wenn sie das schaffen sollen, was man von ihnen erwartet, bräuchten
wir tatsächlich ständig guten Rat. Wir bräuchten exzellente Schulen mit kleinen Klassen für alle Kinder, um diese Mammutaufgabe zu stemmen. Aber da unsere Nation ungern in Bildung investiert, flickschustern wir lieber und hoffen das Beste. Wir nehmen lernwillige Mütter, die nicht
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