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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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stumm.
    Â»Dann habe ich ja eine schöne Neuigkeit für Sie. Sie sind schwanger. Herzlichen Glückwunsch!«

Schnellkurs Mutterschaft
    Natürlich hatte ich mir oft vorgestellt, wie ich in einer solchen Situation reagieren würde, ob ich erröten, vor Glück zerspringen oder wie bei einer Oscarverleihung überwältigt mit den Händen vor der Nase wedeln würde. Tatsächlich verstumme ich, ganz untypisch. Die Nachricht ist so groß - mein Verstand kann sie noch gar nicht packen. Es rauscht heftig in meinem Kopf. Mir ist schwindelig. Der Arzt erzählt etwas, was hoffentlich nicht wichtig ist, denn ich verstehe nichts mehr, er schiebt mich lächelnd aus dem Sprechzimmer und eine Arzthelferin übergibt mir schmunzelnd ein bonbonfarbenes Pappköfferchen. Ich starre auf dieses unerwartete Geschenk, als könnte es mir das Leben erklären. Während sie geschäftig meine zahlreichen Arzttermine für die nächsten Monate macht, wage ich einen Blick in das Köfferchen: zahlreiche Broschüren zur Schwangerschaftsentwicklung und zu Babys erstem Lebensjahr, Elternzeitschriften, eine Drehtafel zur Errechnung des Entbindungstermins und sogar Produktproben - Breilöffelchen, Probewindel, Windelcreme und Babyshampoo. Die Babyindustrie stellt sich artig vor. Wohlig schaudernd bekomme ich eine erste Ahnung von den Dingen, die da kommen. Schließlich reicht mir die Arzthelferin ein hellblaues Heft über die Theke mit offiziellem Praxisstempel. »Mutterpass«, lese ich und bin verblüfft. Kaum schwanger, schon Mutter, denke ich zwischen rauschenden Ohren. Das ging ja schneller, als ich dachte.
    Â»Das ist ein sehr wichtiges Dokument«, ermahnt mich die Arzthelferin. »Wir tragen alle Daten über Sie und Ihr Kind in diesen Pass ein. Bitte tragen Sie den Mutterpass immer bei sich. Sie sollten ihn nie vergessen.«
    Â 
    Erst ein paar Tage und viele aufgeregte Gespräche mit Mann, Eltern, Schwester und Freundinnen später habe ich Zeit, mir in Ruhe dieses wichtige Dokument anzusehen, das mich von nun an die nächsten Monate begleiten soll. Gleich auf der ersten Seite werde ich eingeführt in die wunderbaren Geheimnisse einer Schwangerschaft:

    HINWEISE FÜR DIE SCHWANGERE
    Â»Schwangerschaft und Geburt sind natürliche Vorgänge und stellen keine Krankheit dar. Manchmal können sie allerdings mit einem erhöhten Risiko für Mutter und Kind belastet sein. Eine sorgfältige Schwangerschaftsbetreuung hilft, einen großen Teil dieser Risiken zu vermeiden oder rechtzeitig zu erkennen, um Gefahren abzuwenden.«
    Â 
    Offenbar ist eine Schwangerschaft trotz hartnäckiger Gerüchte keine Zeit der guten Hoffnung. Hier kommt mir keine blumig-romantische Zuversicht entgegen mit Gottvertrauen in die natürlichen Kräfte meines gesegneten Körpers. Eher streng mahnende Worte, auf dass ich nicht vergesse, mich ordentlich zu verhalten. Ich beiße mir auf die Lippen. Ich werde eine vorbildliche Mama sein, jawohl! Egal, wie gesund ich mich fühle - Krankheit, Risiko und Gefahr scheinen Umstände zu sein, vor denen ich mich hüten muss, und ich werde alles tun, ihnen keine Chance zu geben.
    Ich wühle im Pappkoffer. Nicht nur der Mutterpass, sondern alle hier zu findenden Broschüren verkünden die für den Arzt nützliche Botschaft, dass nur eine lückenlos medizinisch kontrollierte Schwangerschaft eine sichere sei:
    Â 
    Â» Heute gibt es so viele medizinische Möglichkeiten, Gefahrenpunkte für Mutter und Kind frühzeitig zu erkennen und zu beheben, dass es verantwortungslos wäre, wenn eine Frau ihre Schwangerschaft nicht ständig ärztlich überwachen ließe.«
    Â 
    Ich möchte am liebsten wieder zum Arzt laufen. Ich kann gar nicht glauben, dass es Frauen mit Pappkoffer gibt, die nicht alle Möglichkeiten der modernen Überwachung in Anspruch nehmen wollen, aber:
    Â 
    Â» Trotzdem macht ein großer Prozentsatz von werdenden Müttern noch immer keinen ausreichenden Gebrauch von diesem speziellen Betreuungsangebot. Zu befürchten hätten sie nichts, denn die Untersuchungen tun nicht weh, und der Arbeitgeber ist verpflichtet, die entsprechende Zeit ohne Verdienstausfall freizugeben.«

    Kann man es denn fassen? Ich bin erschüttert. Will man hier sagen, dass es Frauen gibt, die bei einer solch wichtigen Sache noch Angst haben vor dem Wehwehchen oder dem Chef? Sind das denn dumme Kinder?
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