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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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Der Satz im Mutterpass unter »Hinweise für die Schwangere« reiht sich verstörend geschmeidig in diese Logik ein:
    Â 
    Â»Beraten Sie sich mit Ihrem Arzt und befolgen Sie seine Ratschläge!«
    Â 
    Tja, was bleibt einer angehenden Mutter da noch zu tun? Auf einmal scheint es mir schwerer als gedacht, meiner Intuition und meinem weiblichen Körper zu vertrauen, so wie ich eigentlich gedacht hatte, dass es sein müsste. Ich will nicht behaupten, ich hätte nicht gewusst, was da auf mich als werdende Mutter zukommt, aber bei diesem Fokus auf Risiken und Gefahren, bei diesen unermüdlichen Ermahnungen, mich stets sorgfältig kontrollieren zu lassen, wird mir doch langsam mulmig.
    Davon hatte meine Mutter mir gar nichts erzählt. Ich dachte, es reiche, sich in der Schwangerschaft gesund zu ernähren, keine Drogen zu nehmen, ausreichend zu schlafen und ansonsten schön entspannt zu bleiben und auf den eigenen Körper zu bauen. Dann würde ich das Kind schon schaukeln. Aber jetzt wird mir klar: Schwangerschaft ist ja richtig gefährlich! Egal, wie gesund, unbesorgt und frei ich als Frau in einem früheren Leben gelebt hatte - das alles spielt jetzt keine Rolle mehr. Krankheit, Risiko und Gefahr scheinen Umstände zu sein, denen ich als Schwangere offenbar nur mit äußerster Vorsicht und unter der strengen Aufsicht meines Gynäkologen entgehen kann.
    Ich fühle mich irgendwie ermahnt und gescholten, aber weiß nicht mal genau, warum. Denn schließlich war ich ja gerade beim Arzt. Bin ich vielleicht gar nicht gesund schwanger, grüble ich, sondern so etwas wie schwanger-krank?
    Aber ich will ehrlich sein: So ernst nehme ich das in meiner Lage nicht. Ich lese diese Texte, bin kurz beunruhigt und vergesse sie wieder. Ich gehe meinen Eindrücken nicht nach.
Ich nehme es gar nicht ernst, dass man mich als werdende Mutter ermahnt, meinem Arzt blind zu gehorchen.
    Und will man es schließlich der deutschen Frauenärzteschaft und der Industrie verübeln, wenn sie uns Frauen ordentlich ins Gewissen redet? Tragischerweise scheinen gerade deutsche Schwangere echte Sorgenkinder zu sein. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gehören bis zu 70 Prozent aller werdenden deutschen Mütter laut Mutterpass einer Risikogruppe an. Interessanterweise müssen wir nur über die Grenze in die Niederlande fahren und sofort sind die Frauen gesünder. In Holland oder Skandinavien zum Beispiel beträgt die Rate der Risikoschwangeren nur 20 Prozent. Ist es das Wasser, die Luft, das Essen? Oder ist es die Tatsache, dass in diesen Ländern Schwangere zu 70 Prozent von Hebammen betreut werden und nur bei Problemen an Ärzte überwiesen werden?

Hilfe, ich bin Risikopatientin!
    Die Erfolge der modernen Medizin sind unbestreitbar. Medizin kann Leben retten und ich bin wirklich sehr dankbar für die Betreuung und für jeden hilfreichen Ratschlag. Einige Krankheiten des Kindes können schon während der Schwangerschaft diagnostiziert und vereinzelt sogar therapiert werden, wie ein offener Rücken oder Anämie. Auch können wir auf Wunsch frühzeitig erfahren, ob man das Zimmer blau oder rosa streichen kann. Und schließlich beruhigt es eine Schwangere ungemein, wenn der Arzt berichten kann, dass das Kind sich nach allen Regeln der ärztlichen Beobachtungsgabe gesund entwickelt.
    Nur leider werden Schwangere von Ärzten nicht allzu häufig beruhigt. Seit die Risikofaktoren in den letzten 20 Jahren von 17 auf 53 Faktoren aufgestockt wurden und Frauen bei ihrem ersten Kind im Durchschnitt immer älter werden - das Durchschnittsalter liegt heute bei knapp 30 Jahren -, sind die meisten Schwangeren hierzulande Risikopatientinnen. Es reicht schon ein Heuschnupfen, ein krummer Rücken, Übergewicht
oder eben ein ungünstig liegender Geburtstag vor Ablauf der neun Monate und - schwups! - schon ist frau in eine Risikogruppe katapultiert.
    Auch ich habe Pech - ich habe bald Geburtstag.
    Â 
    Â»So«, sagt mein Arzt, »alles kein Grund zur Sorge, aber Sie sollten schon regelmäßig zu uns kommen.«
    Â»Aha«, sage ich.
    Â»Ich möchte Sie engmaschiger untersuchen«, sagt er, »aus reiner Vorsicht. Allerdings muss ich Sie als Risikopatientin ausführlich über pränatale Diagnostikmethoden informieren.« Und dann schaut er mir direkt in die Augen.
    Â»Haben Sie schon einmal daran gedacht, was Sie
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