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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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andere Wege gefunden, dem Kind schon früh zu zeigen, ob es Freude macht oder Anlass zu Sorge gibt. Es müssen ja keine Ziffern sein. Man kann ja auch Symbole mit Bedeutung belegen. Blümchen- und Pferdchen-Stempel wie zu meiner Schulzeit sind offenbar out. Sie sind nicht differenziert genug. Aber wofür haben wir denn diese süßen Punkt-Punkt-Komma-Strich-Gesichter, die sich so wunderbar variieren lassen? Ein Smiley ist so schön fröhlich, dass dem Kind das Herz lacht und es sofort versteht: Es hat etwas Schönes getan. Sein Pendant mit herabgezogenen Mundwinkeln und hängenden Augenstrichen ist dagegen so eindrücklich traurig, dass das Kind schweren Herzens ohne viele Worte begreift, wie viel Kummer es macht.
    Um es gleich zu sagen - wie sicher und geborgen sich ein Kind in der Schule mit diesem System fühlt, steht und fällt mit dem Lehrer. Die Kinder bringen eine gewisse Prägung und ein bestimmtes Elternhaus mit, aber der Lehrer oder die Lehrerin ist es hauptsächlich, der oder die in einer Klasse darüber entscheidet, ob die Kleinen eifrig motiviert lernen oder ob sie angsterfüllt erstarren. Bestätigt und ermuntert eine Lehrerin ein Kind, sieht sie die Stärken und positiven Entwicklungen der kleinen Person, kann das Kind auch mit Kritik in der Regel gut umgehen. Ist die Lehrkraft aber überfordert, eher kühl und rigide, ja, vielleicht sogar verachtend oder demütigend, wird selbst ein Kind es schwer haben, mit Freude zu lernen, das von zu Hause die beste Unterstützung erfährt. Kinder sind noch recht kindlich, wie der Name schon sagt. Das heißt, sie lassen sich leicht von schlechten Urteilen entmutigen und ängstigen, wenn sie sich nicht sicher und geborgen fühlen. Es braucht da schon einen gewissen liebevollen Rahmen, wenn sie trotz weinender Gesichter auf ihren Schulheften eifrig weiterlernen sollen.

Mein neuer Job für die Schule: Coach, Motivationstrainer, Seelentrösterin
    Diese Abhängigkeit von der Art des Pädagogen macht es besorgten Eltern heutzutage ausgesprochen schwer, ihr Kind in der Schule sich selbst zu überlassen. Denn was in der einen Klasse wunderbare Ergebnisse erzielt, kann in einer anderen zum Desaster führen. Holzauge, sei wachsam! Und je wachsamer ich bin, desto mehr erschließt sich mir ganz deutlich, warum die Experten verlangen, dass es gerade die ersten fünf Lebensjahre eines Kindes sind, in denen es wie ein zartes Pflänzchen gehegt und gepflegt werden soll, und nicht etwa seine ersten zehn Lebensjahre zum Beispiel. Denn einmal in der Schule, ist nicht mehr viel los mit hegen und pflegen. Die ersten fünf Jahre Betütteln, das ist alles, was es kriegen kann. Da der neue Staatsbürger flexibel, eigenständig, strebsam, intelligent und bienenfleißig sein soll, glaubt man offenbar, gar nicht früh genug damit anfangen zu können, die Kinder auf selbstständige, effektive Arbeit einzuschwören. Ein gutes Kind zu sein meint da nicht nächstenliebend, freundschaftlich, solidarisch, hilfsbereit und gütig, sondern konkurrenzfähig, zielstrebig, leistungsstark, ehrgeizig und schnell. Wer da nicht von Anfang an mithalten kann, kann in diesem auf individuelle Leistung aufgebauten System schnell den Anschluss verlieren.
    Also mache ich das, was von mir als gute Mutter erwartet wird. Ich lasse nicht das System auflaufen und zeige ihm durch das Versagen meines Kindes, dass das Bildungssystem selbst versagt, sondern ich fange mein Kind auf und unterstütze damit die ganze Sache. Zur Schule lasse ich sie alleine gehen, aber zu Hause werde ich engagierte Assistenzlehrerin, miesepetrige Hausaufgabenbetreuerin und hektischer morgendlicher Tornister-Checker. Das Kind muss auf Vordermann gebracht werden. Es gilt unter allen Umständen zu vermeiden, dass die angestrengte Lehrerin sie auf den Kieker kriegt. Hat sie ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht? Hat sie alles verstanden? Sind auch alle geforderten Sachen da? Haben wir sämtliche Eltern-Briefe erhalten, gelesen und beantwortet?
Die Post der Schule an uns Eltern ist so umfangreich, dass sich ein eigener Briefkasten lohnen würde. (Aus einer amerikanischen Fernsehserie weiß ich, dass dies ein Indiz für eine hervorragende Schule sein soll. Also mucke ich nicht laut auf, aber ich fluche leise vor mich hin.) Mein Mann bereitet unsere Tochter dagegen sorgfältig auf manche Klassenarbeiten vor und besucht die Elternabende.
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