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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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dass nicht mehr alle Eltern da sind. Es sind mehr denn je die Mütter, die sich um ihre Kinder kümmern, denn viele Paare haben sich inzwischen getrennt. In manchen Schulen unserer Stadt sehen sich Lehrer an Elternabenden ausschließlich alleinerziehenden Müttern gegenüber.

    Speziell in unserer Klasse - und sprechen wir ruhig von »unserer« Klasse, bei dem Grad, zu dem wir Eltern heutzutage alle in den Schulalltag unserer Kinder einbezogen werden - sind wir Erwachsenen darüber hinaus in Temperament, Erwartungen, Interessen, Ängsten, Sorgen, Ausbildung, Beruf, Finanzen, Humor und genereller Weltansicht grundlegend verschieden. Aber das spielt bei uns eigentlich keine Rolle, denn soweit ich das von meiner bescheidenen Warte aus beurteilen kann, herrscht bei uns inzwischen ein geringes Interesse, miteinander zu kommunizieren, worüber auch immer. Es ist nicht so, dass wir uns anfeinden, aber es ist schon so, dass wir nach all den Jahren gemeinsamer Aufregung um die Kinder nicht gerne in einem Raum zusammen eingesperrt sind. Die meisten von uns haben sich schon im Kindergarten kennengelernt und nicht alle haben sich zu schätzen gewusst. Das macht Klassenfeste ein bisschen schwierig. Auf der anderen Seite müssen wir uns auch nicht um gemeinsame Förderprojekte in der Klasse kümmern. Das finde ich schön. Die gibt es nämlich nicht. Uns reicht das, was in der Schule geboten wird. Wir wünschen nicht, darüber hinaus gemeinsam tätig zu werden. Schreibförderung, Kochen, Basteln, Tanz, Musik, Sport, das sind die AGs, die an unserer Schule nachmittags zur weiteren Förderung vorhanden sind - wenn ich da überhaupt richtig informiert bin -, und das reicht uns auch. Mehr muss es in der Schule für uns nicht sein. Wir lieben eine gewisse private Sphäre. Wir lieben sie so sehr, dass der Schulleiter zunehmend Schwierigkeiten hat, Eltern aktiv in Projektwochen, Schulfeste, Sportereignisse und Aufführungen einzubeziehen. Und das liegt nicht daran, dass wir alle Chips kauend vor dem Fernseher hocken und unseren dicken Kindern beim Gameboy-Spiel zusehen. Es liegt daran, dass es etwas viel geworden ist mit all den Projekten, Schulfesten, Sportereignissen und Aufführungen.
    Wenn ich daran denke, wie oft meine Eltern in meiner Grundschule waren und wie oft wir hier in unserer Schule zu finden sind, befällt mich eine tiefe Sehnsucht nach alten Zeiten und unengagierter Freizeit.
    Andere Klassenelternschaften haben da aber offenbar ein
ganz anderes Flair. Eltern berichten von netten Müttern und Vätern, die nicht nur unzählige ehrgeizige Projekte in ihrer Freizeit für die Förderung der Kinder stemmen, sondern auch per E-Mail begeistert seitenlange Pädagogikkonzepte versenden. Manche erzählen von fantasievollen Arbeitsgemeinschaften, die Eltern organisieren. Japanisch, Spanisch, Trommeln für Grundschüler. Im Fernsehen sehe ich ab und an Mütter in irgendwelchen Reportagen, die wild entschlossen ihre Fünfjährigen zu teuren Manager-Wochenend-Workshops schicken, damit sie einmal »etwas ganz Besonderes« werden, aber persönlich kenne ich solche Eltern nicht. Ich glaube, für die Eltern, die ich kenne, sind ihre Kinder schon von Natur aus etwas Besonderes, und ich vermute insgeheim, dass diese Sendungen wieder mal so ein Medien-Versuch sind, Skandale zu produzieren. Nach dem Motto: »Die armen Kinder!« Mütter-Beschimpfung ist ja immer ein dankbares Thema.
    Aber ich muss gestehen: Die Mutter im Fernsehen sah echt aus. Es muss sie wohl geben. Und schließlich leben unzählige Institutionen von der Entschlossenheit der Eltern, ihren Kindern zum Erfolg zu verhelfen. Nachhilfeunterricht boomt heute schon bei den Kleinsten. Pech für die, die sich privat bezahlte Förderung nicht leisten können. Denn die Förderung mag privat sein, die Zeugnisse sind es ja nicht. Eltern geben jährlich die unglaubliche Summe von 1,5 Milliarden Euro für diesen privaten Zusatzunterricht aus, und das beginnt schön früh in der Grundschule. Es geht dabei nicht mehr nur wie früher darum, mit Nachhilfe den Kindern eine Versetzung in die nächste Klasse zu ermöglichen, sondern es geht darum, den Übertritt in das Gymnasium zu schaffen und aus befriedigenden Noten gute oder sehr gute Noten zu machen. Rund 4000 Nachhilfeinstitute sind in Deutschland bislang gegründet worden, die inzwischen so viel Geld erwirtschaften, dass
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