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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl
Autoren: Ulrike Hartmann
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sie uns in eindringlichen Fernsehwerbespots ins Gewissen reden können, stets für gute Noten zu sorgen. Jeder achte Schüler, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung 2010, lernt nach der Schule in privat bezahlten Nachhilfestunden.
    Auch mit anderen Methoden wird zunehmend versucht,
Kinder an das System besser anzupassen und ihnen den Alltag zu erleichtern. Jedes vierte Kind hat vor seinem achten Geburtstag mindestens eine Fördertherapie hinter sich, ob Logopädie, Ergotherapie oder Lerntherapie. 2007 - so DIE ZEIT online - bekamen mehr als 20 Prozent aller sechsjährigen Jungen, die bei der AOK versichert waren, eine Sprach-und 13 Prozent eine Ergotherapie. Und bei 10 bis 11 Prozent eines Jahrganges wird ADHS festgestellt, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, dessen Diagnose häufig zur Einnahme von Tabletten führt, die die Konzentration der Kinder fördern sollen, oft aber auch dessen Wesen grundlegend verändern. Die Kinder werden der Umwelt angepasst, nicht die Umwelt den Kindern.
    Â 
    Was ist also mit uns Eltern angesichts unserer gestressten Kinder? Sehen wir von Jahr zu Jahr deutlicher die hässlichen Auswirkungen des Leistungsprinzips? Sehen wir, dass unsere Kinder Angst haben, nicht gut genug zu sein? Sagen wir ihnen, dass sie in Ordnung sind, so wie sie sind, und dass es normal ist, nicht alles zu können? Sind wir gelassen und beruhigen wir sie? Ja, die meisten von uns sehen, dass sie überfordert sind. Und versuchen, die Kinder durch Nachhilfeunterricht, Therapien und Medikamente zu stärken. Und nein, etliche geben ihre Ansprüche nicht auf. Und gelassen bleiben viele von uns schon gar nicht. Wie sollten wir denn auch? Wir sind doch die, die bis über beide Ohren im Perfektionswahn, Leistungsdruck, Konkurrenzdenken, Schuldgefühlen, Versagens- und Zukunftsängsten stecken. Die Kinder übernehmen sie nur. Uns muss in erster Linie geholfen werden, nicht ihnen.
    Wir wünschen uns alle, dass unsere Kinder selbstbewusst und angstfrei leben und lernen. Aber wir sind keine guten Vorbilder, wenn wir selbst ständig ängstlich sind, den Ansprüchen nicht zu genügen. Und das ist eigentlich alles, was ich jetzt noch wissen muss, um mein Leben zu ändern.

Na, und jetzt? Das gute Gefühl!
    Es könnte jetzt immer so weitergehen. Nach der Grundschule kommt die weiterführende Schule, dann vielleicht die Lehre, die Berufsschule oder das Abitur und die Universität, Praktika, Volontariate, die ersten Anstellungen. Es kommen Lebenspartner, Familien, vielleicht Enkel. Ich könnte mich mein Leben lang austoben und das Leben für meine Töchter organisieren. Ich könnte sie zwar vermutlich irgendwann nicht mehr persönlich zu Ärzten, Therapeuten und Experten schleppen, aber ich könnte sie stets penibel im Auge behalten und emsig mit langen Monologen und Blitzbesuchen einschreiten, wenn es mir sinnvoll erscheint. Ich könnte pausenlos studieren, was in der Gesellschaft als Erfolg versprechend gilt, und meine Kinder dahin treiben. Ich könnte sie pushen und pampern, stetig überwachen und kontrollieren, bis es ihnen zu den Ohren herauskommt, damit sie schön glücklich und erfolgreich werden, wie alle es sagen. »Helicopterparents« nennen Experten dieses Phänomen unter Eltern, das den Gerüchten nach immer mehr um sich greift und zum Teil sogar Großeltern befällt. Eltern schwirren um ihre Kinder wie kleine Hubschrauber, wie Motten das Licht, weil sie überzeugt sind, dass ihren Kindern sonst Gefahr droht und sie das Leben nicht meistern können.
    Â 
    Nein, vielen Dank. Ich verabschiede mich von diesem Leistungswahn in unserer Gesellschaft, der jetzt auch nach Müttern und Kindern greift. Ich schaue mir die Kinder an, sehe ihre Ängste, ihr Verhalten, ihre Überforderung und ich weiß, dass ich diesen Weg nicht weiter gehen werde. Ich bin da jetzt vernünftig und verbiete mir diese kindischen Vorstellungen von perfekter Lebensplanung und ewigem Glück. Nobody is perfect - das weiß doch eigentlich jedes Kind. Was einmal spielerisch mit Babykursen und Turnübungen begann, hat sich inzwischen zum hässlichen Leistungsstress entwickelt. Ich bin nicht bereit, dem Optimierungswahnsinn weiterhin Folge zu leisten, egal, wie laut uns »Sicherheit«, »Erfolg« und »Glück« von allen Seiten entgegenschreit.

    Nach einigen Jahren in Mutterschuldgefühlen stelle ich erstaunt fest, dass all das
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