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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
Autoren: Martina Rosenberg
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loslassen will. Ich stehe mit feuchten Augen oben am Küchenfenster und denke an meine eigene Kindheit, in der ich auch schon zu Weihnachten in den Wald gegangen bin und Rehe gefüttert habe. Ich reiße mich los und gehe schnell ins Wohnzimmer. Jens und ich nutzen die freie Zeit, um den Weihnachtsbaum zu schmücken und Geschenke darunterzulegen.
    Der Ausflug mit seiner Enkeltochter ist eigentlich das Einzige, was mein Vater an Weihnachten mag. Grundsätzlich schimpft er über den Weihnachtswahnsinn. Meine Mutter hingegen liebt Weihnachten und freut sich stets besonders auf unsere alljährliche Einladung zum Abendessen an Heiligabend. Ich glaube, sie ist froh, nicht mit ihrem Mann allein sein zu müssen, und genießt die kindliche Freude ihrer Enkeltochter.
    Da ich weiß, wie wichtig ihr der Weihnachtsabend ist, fühle ich mich jedes Jahr mehr oder weniger verpflichtet, den Abend mit den Eltern zu verbringen. Ich will auf gar keinen Fall, dass sie allein sind. Nur in einem einzigen Jahr, als Lena noch keine zwölf Monate alt war, haben wir uns für einen Besuch bei den Schwiegereltern im neunhundert Kilometer entfernten Kiel entschieden. Doch es blieb bei dieser einen Ausnahme. Nachdem es meiner Mutter immer schwerer fiel zu kochen, habe ich schon vor vielen Jahren entschieden, dass sie zu uns zum Essen kommen. Richtig schön war es dennoch nie, weil Vater meist schlecht gelaunt war und meine Mutter recht aufgeregt um ihn herumgetanzt ist. »Was brauchst du denn?« oder »Soll ich dir dein Bier holen?« und so weiter. Aber ich kannte das ja und kommentierte es meist mit einem Witz.
    Dieses Jahr sitzen wir mal wieder alle wie im Bilderbuch um den Weihnachtsbaum herum und beobachten Lena, wie sie ein Geschenk nach dem anderen aufreißt und bestaunt. Gern hätten wir auch unsere Schwiegereltern dabeigehabt, aber sie leben einfach zu weit weg.
    Rückblickend kann ich sagen, dass die Veränderung bei meiner Mutter schon früh erkennbar war. An diesem Abend kommt sie allein nach oben, ohne meinen Vater. Sie klopft an die Tür und ruft fröhlich: »Martina!«
    Ich eile zu ihr. »Hallo, Mutti! Wo hast du denn den Vati gelassen?«, frage ich erstaunt.
    »Ach der«, sagt sie leicht verächtlich, »der wird schon noch kommen.«
    Ich bin verwundert. Sonst kommt sie doch nie ohne ihn oder sieht zumindest nach, wo er bleibt.
    Zielstrebig marschiert sie ins Wohnzimmer zu ihrer Enkelin. Es kümmert sie wenig, wo mein Vater bleibt, weswegen ich entscheide, nach unten zu gehen und nach ihm zu sehen. Ich treffe ihn im Schlafzimmer an, wo er hektisch etwas sucht.
    »Was machst du denn?«, frage ich ihn.
    »Ich suche etwas. Wir haben einen Umschlag für Lena vorbereitet. Deine Mutter interessiert das gar nicht mehr«, sagt er.
    Tatsächlich hat sie das nicht gekümmert. Seltsam.
    »Kann ich dir helfen?«
    »Nein, ich hab ihn schon.« In der untersten Schublade wird er fündig. Erleichtert hält er den Umschlag hoch und grinst. »Jetzt kann es losgehen.«
    Gemeinsam gehen wir nach oben und reden nicht mehr darüber.

Kapitel 2
    2004–2006

Der Anfang vom Ende
    Ein Samstagmorgen im Frühjahr des folgenden Jahres. Wir genießen es, auszuschlafen und lange am Frühstückstisch zu verweilen. Lena klettert aus ihrem Bett und sitzt mit Schlafanzug und Kuscheldecke am Tisch. Nebenbei schlürft sie ihren Kakao. Frische Brötchen, Orangensaft, Obst und Kaffee stehen auf dem Tisch, und wir planen unseren Tag. Genauer gesagt, Lena plant den Tag. Sie will gern mal wieder schwimmen gehen und überlegt sich schlagfertige Argumente, um uns von der Dringlichkeit ihres Anliegens zu überzeugen. Doch ihr Redeschwall wird jäh von einem kurzen Poltern unterbrochen. Das Geräusch kommt ganz klar von unten und scheint die Küche unter uns zu betreffen.
    Ich springe sofort auf und rufe: »Mist! Das hört sich nicht gut an!«
    Auf der Treppe nach unten nehme ich zwei Stufen gleichzeitig, und fast wäre ich noch gestrauchelt, hätte ich mich nicht am Treppengeländer festgehalten. Ich laufe in die Wohnung meiner Eltern und finde meine Mutter auf dem Küchenboden liegend vor.
    »Mutti, ist alles okay bei dir?«, frage ich sie.
    Sie antwortet leicht verwirrt: »Ja, ja. Ist alles in Ordnung. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte.«
    Mein Vater steht neben ihr und lacht nervös. Ein Lachen, das keine Freude, sondern eher Verzweiflung ausdrückt. Trotzdem sagt er ganz lässig zu seiner Frau: »Komm schon. War nix. Einfach wieder aufstehen.«
    Tatsächlich
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