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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
Autoren: Martina Rosenberg
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Menschen halt etwas komisch. Du musst toleranter sein.«
    »Du hast gut reden. Dich beschuldigt ja keiner. Ich nehme das schon persönlich«, entgegne ich.
    Das Verhalten meiner Mutter lässt mir keine Ruhe. Wie kommt sie darauf zu denken, ich würde all diese Dinge verlegen? Aber letztendlich hat Jens recht. Ich werde für meine Mutter mehr Verständnis aufbringen müssen, ihre Anschuldigungen weniger ernst nehmen. Es grenzt ja tatsächlich manchmal ans Komische, was sie so von sich gibt. Bestimmt ist ihr gar nicht bewusst, dass sie mich verärgert.
    Verzweiflung
    Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, fast täglich, meist abends zwischen halb acht und acht, bei den Eltern vorbeizusehen. Ich habe den Eindruck, meine Besuche heitern sie auf. Wir sprechen über die Ereignisse des Tages oder auch über politische Themen. Je nachdem, was uns gerade einfällt. Doch die Stimmung wird immer getrübter. Meine Mutter kämpft mit ihren Problemen, die ihr täglich größer erscheinen. Die ewige Suche nach den Dingen reibt sie auf, seit Neuestem kommt noch die Suche nach den geeigneten Wörtern hinzu.
    So sitze ich auch an diesem Abend bei meinen Eltern auf dem Sofa, während Jens Lena ins Bett bringt. Meine Mutter erzählt von einer Nachbarin, deren Name ihr einfach nicht einfallen will. Sie fängt an zu weinen.
    »Was hast du denn, Mutti?«, frage ich völlig verblüfft. »Warum weinst du denn?«
    So kenne ich sie gar nicht. Tränen laufen über ihr Gesicht, ich bin kurz davor mitzuweinen.
    »Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist«, schluchzt sie. »Mir fallen die einfachsten Namen nicht mehr ein. Das gibt es doch gar nicht. Ich glaube, ich werde verrückt.«
    Ich sehe ihre Verzweiflung, weiß aber nicht, was ich dazu sagen soll. Mir ist das auch schon aufgefallen, aber ich habe es auf das voranschreitende Alter geschoben. Sollte sie sich mal untersuchen lassen?, frage ich mich. Blödsinn! Ich schiebe den Gedanken weg. Es ist doch normal, wenn man mit Ende siebzig mal den ein oder anderen Namen vergisst.
    Ich tröste meine Mutter. »Ach was, Mutti! Denk dir nichts dabei. Bist halt keine zwanzig mehr, da hat man schon mal Erinnerungslücken«, sage ich leichthin.
    Mein Vater sitzt wie jeden Abend neben ihr auf seinem Sessel. Wie versteinert schaut er auf den Tisch. Ich sehe ihn an und versuche mit einem lockeren Spruch die Situation zu entschärfen. Ich kann es nicht ertragen, wenn zwischen den beiden Disharmonie herrscht. Deswegen bin ich stets bemüht, zu vermitteln oder zu beschwichtigen.
    »Du vergisst doch auch mal was, Vati, oder?«
    Langsam hebt er den Kopf, denkt nach und lacht plötzlich unvermittelt kurz auf. »Ständig!«, ruft er, aber es klingt nicht überzeugt. Ihm scheint die Sache auch nicht geheuer zu sein.
    Doch an diesem Abend werde ich das Thema nicht mehr ansprechen. Meine Mutter hat sich wieder beruhigt. So reden wir noch über ein paar belanglose Dinge, bis ich mich nach einer halben Stunde verabschiede, um nach oben zu gehen.
    Jens sitzt mittlerweile im Wohnzimmer und sieht fern. Obwohl ich eigentlich mit ihm über meine Mutter reden wollte, entscheide ich mich kurzerhand anders. Müde vom Tag und den Ereignissen schlafe ich neben ihm auf dem Sofa erschöpft ein.
    Die Abende, an denen meine Mutter weinend auf dem Sofa sitzt, häufen sich. Immer wieder erlebe ich in den kommenden Wochen, dass sie etwas erzählen will und ihr die Worte dazu nicht einfallen. Dann sieht sie mich mit großen Augen an, und völliges Unverständnis beherrscht ihren Gesichtsausdruck. »Was passiert nur mit mir?«, fragt sie mich immer wieder.
    Leider verstehe ich es auch nicht. Obwohl ich ein mulmiges Gefühl habe, versuche ich sie zu beruhigen und spiele die Situation herunter. Aber so richtig bin ich nicht davon überzeugt, dass das Verhalten meiner Mutter keinen Grund zur Besorgnis bietet.
    Ein schriller Ton, der durch das Haus schallt, lässt das Adrenalin durch meine Adern schießen. Feueralarm! Nachdem meine Mutter drei Monate zuvor etwas hat anbrennen lassen, haben wir im ganzen Haus Feuermelder angebracht. Jetzt pfeift es in einem hohen, unerträglichen Ton bis zu uns in die Wohnung. Lena und ich sitzen gerade in der Küche vor unserem Mittagessen.
    »Mama! Was ist das?«, brüllt sie und hält sich die Ohren zu.
    Ich springe vom Stuhl auf und rufe ihr noch schnell zu: »Bleib du hier. Ist nichts Schlimmes. Oma hat nur vergessen, den Teekessel auszumachen!«
    Eilig renne ich die Treppe nach unten in die Wohnung
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