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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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früh.«
    »Hubertus? Boone hat doch in Ohio nichts erreicht, oder?«
    »Nein. Den Domain-Namen hat er durch Ihre Mail an Stella rausgekriegt. Er hatte natürlich die ganze Adresse, konnte aber nichts damit anfangen. Er dachte, wenn er Ihnen erzählt, daß er in Ohio zumindest die Domain in Erfahrung gebracht hat, kann er sich bei mir hinterher auch noch ein paar Lorbeeren abholen.
    Aber wir mußten sehr schnell handeln, das war klar, ihm auch, und dazu mußte er mir die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit.« Er zuckt die Achseln. »Sie haben mir zwar auch nicht erzählt, was Sie vorhatten, aber wenigstens haben Sie mich nicht belogen. Ach, übrigens, wie sind Sie denn nun eigentlich an die Adresse gekommen?«
    »Durch jemanden, der Verbindungen zur NSA hat. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie er sie beschafft hat oder wie ich das herausfinden kann.«
    »Mit Ihnen habe ich wirklich einen Glücksgriff getan, das war mir von Anfang an klar, gleich als ich Sie zum erstenmal gesehen habe.«
    »Wissen Sie, wo Boone hinwollte?«
    »Ich nehme an, nach Tokio. Zu dieser Designerfreundin, bei der er gewohnt hat, als Sie dort waren. Haben Sie sie kennengelernt?«
    »Ich habe ihre Wohnung gesehen«, sagt sie nach kurzem Zö-
    gern.
    »Ich glaube, dem geht’s in erster Linie ums Geld.« Er verzieht das Gesicht. »Letztlich, scheint mir inzwischen, war das überhaupt das Problem bei diesen ganzen Dot-Com-Leuten. Gute Nacht.«
    Er ist weg.
    Sie setzt sich auf den in Sechzigerjahreorange gehaltenen Bettüberwurf und öffnet den weißen Umschlag von Wiktor Marchwinska-Wyrwal.
    Er enthält auf drei Bögen blauem Schreibpapier eine Art Ü-
    bersicht oder Zusammenfassung eines längeren Dokuments. Sie liest schnell, was da steht, ringt mit den übersetzungsbedingten Eigentümlichkeiten der Syntax, blickt aber irgendwie trotzdem nicht durch.
    Ein Bericht über den letzten Morgen ihres Vaters in New York.
    Sie liest noch mal.
    Beim dritten Mal fängt sie an, den Sinn zu erfassen.
    Win war nach New York gekommen, weil er einen Termin bei einer Konkurrenzfirma auf dem Sektor Sicherung von Massenveranstaltungen hatte. Seine Erfindungen sollten dem—nächst durch Patent geschützt werden, und mit der Firma, bei der er sie entwickelt hatte, war er nicht mehr zufrieden. Ein Wechsel konnte juristisch kompliziert werden, und um das zu besprechen, hatte er sich für den Morgen des 11. September mit dem Direktor des Konkurrenzunternehmens in dessen Office in der Ninetieth West Street verabredet.
    Er war tatsächlich, wie der Portier des Mayflower wiederholt behauptet hatte, in ein Taxi gestiegen.
    Cayce sitzt da und schaut auf das Kennzeichen des Taxis, den Namen des kambodschanischen Fahrers, seine Zulassungs-nummer, seine Telefonnummer.
    Der Zusammenstoß war im Village passiert, als der Wagen südlich in die Christopher Street einbiegen wollte.
    Bagatellschaden am Taxi, das andere Fahrzeug hatte mehr abbekommen, ein Van von einer Cateringfirma. Schuld war der Taxifahrer, der über minimale Englischkenntnisse verfügte.
    Und sie selber saß da gerade in der U-Bahn nach Downtown, um rechtzeitig zu ihrer eigenen Besprechung zu kommen – wie nah mochte sie wohl an der Stelle vorbeigesaust sein? Und ob er die Türme gesehen hatte, als er an diesem schönen, sonnigen Morgen aus dem Taxi gestiegen war?
    Er hatte dem Fahrer fünf Dollar gegeben und war in eine Limo mit eingeschaltetem »Off-Duty«-Schild gestiegen, und der Kambodschaner hatte sich vor lauter Angst das Kennzeichen der Limousine notiert. Er wußte ja, daß Win, sein Fahrgast, im Bilde war, daß er den Unfall verursacht hatte.
    Vor Gericht hatte der Fahrer erfolgreich gelogen und war davongekommen, und dann hatte er wieder gelogen, gegenüber den Polizisten, die auf der Suche nach Win die Taxifahrer befragt hatten, und den von Cayce angeheuerten Detektiven.
    Nein, vor dem Mayflower sei niemand bei ihm eingestiegen.
    Nein, den Mann auf dem Bild habe er nie gesehen.
    Cayce schaut auf den Namen des dominikanischen Fahrers der Limo. Noch mehr Zahlen. Name, Adresse und Telefonnummer der Witwe in der Bronx.
    Die Limo war aus dem Schutt geborgen worden, drei Tage später, mitsamt dem Fahrer.
    Er war alleine gewesen.
    Zwar gebe es nach wie vor keinen Beweis dafür, schloß der unbekannte Schreiber des stümperhaft übersetzten Berichts, daß Win tot sei, aber es gebe eine Vielzahl von Indizien dafür, daß er sich vor Ort oder in unmittelbarer Nähe befunden habe.
    Weitere Nachforschungen
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