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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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benutzt hatten, um die Verbreitung der Segmente zu verfolgen. Aus Gründen, die wohl keiner weiteren Erklärung bedürfen, gab uns das Interesse von Blue Ant und von Hubertus Bigend Anlaß zur Besorgnis.«
    »Danke«, sagt Bigend.
    »Der Gedanke, daß Sie beide zusammenarbeiten, behagte uns
    ganz und gar nicht. Und den Traditionalisten hat die Sache noch weniger in den Kram gepaßt. Wir haben ihnen erlaubt,
    unsere Kontakte zu Dorotea Benedetti weiterzuführen, und so erhielt sie die Anweisung, Ihr Verhältnis zu Blue Ant zu unter-minieren. Für die Überwachung des Telefons und der E-Mail in Ihrer Londoner Wohnung hat sie ihre eigenen Leute benutzt.«
    »Der Mann aus Zypern?« fragt Cayce.
    »Ein Traditionalist, ja. Ihr Mittelsmann.«
    Cayce guckt von Sergej zu Marchwinska-Wyrwal und von
    diesem zu Bigend und dann zu Parkaboy und hat das Gefühl,
    daß ihr ein Großteil dessen, was ihr Leben in letzter Zeit so bizarr gemacht hat, unter den Füßen wegrutscht und sich, entsprechend einer neuen Auslegung der Geschichte, neu zusammenfügt. Kein angenehmes Gefühl, ungefähr so, als ob
    Soho von ganz alleine den Primrose Hill hinaufklettert, weil es festgestellt hat, daß es eigentlich dorthin gehört und keine andere Wahl hat. Aber was hatte Win ihr beigebracht? Meistens ist die Verschwörung gar nicht gegen uns selbst gerichtet; meistens sind wir einfach nur ein Rädchen im Getriebe eines größeren Plans.
    Die Kellner räumen inzwischen den Hauptgang ab, bringen
    kleinere Gläser und schenken Dessertwein ein.
    Cayce fällt auf, daß während des ganzen Dinners nicht ein
    einziger Toast ausgebracht worden ist, und dabei hatte sie gehört, bei einem echt russischen Mahl jage ein Trinkspruch den anderen. Aber vielleicht ist das hier ja kein echt russisches Mahl. Vielleicht ist das hier ja nur ein Mahl in diesem grenzen-losen Land, in dem Bigend Fuß zu fassen trachtet, ein Mahl in einer Welt, in der es keine Spiegel gibt, jenseits derer man sich befinden kann, da die Geisterhand der Vermarktung jegliche Erfahrungen auf Preispunktvarianten ein und derselben Sache reduziert. Aber während ihr das noch so durch den Sinn geht, klopft Marchwinska-Wyrwal plötzlich mit dem Löffel an sein Glas.
    »Ich möchte einen Toast auf Miss Pollards Vater ausbringen, auf den verstorbenen Wingrove Pollard. Leuten wie uns, die sich noch daran erinnern, wie es früher war, kann es leicht passieren, daß sie vorübergehend zurückfallen in die alten Denkweisen, die alten Rivalitäten. Mir selber ist es letztens so gegangen, und dafür muß ich mich entschuldigen. Wo wären wir wohl heute, hätte es auf der Seite der Demokratie und des freien Marktes nicht Männer gegeben wie den Vater von Miss Pollard? Mit Sicherheit nicht hier. Und diese Einrichtung würde auch nicht den Zwecken dienen, denen sie heute dient, nämlich das Voranschreiten der Kunst zu fördern und andererseits das Leben und die Zukunft derer zu verbessern, die weniger Glück hatten.« Er hält inne, läßt den Blick über den Tisch schweifen, und Cayce fragt sich, was das Ganze eigentlich soll und was er damit bezweckt. Will er auf diese Weise bei Wolkow seinen Arsch retten, nachdem er sie fertiggemacht hat? Oder sollte er das etwa wirklich ernst meinen?
    »Männer wie Wingrove Pollard, meine lieben Freunde, haben es durch ihren langen, entschlossenen Einsatz für die Verteidigung der Freiheit überhaupt erst ermöglicht, daß Männer wie Andrej Wolkow schließlich im freien Wettbewerb mit anderen freien Männern die Oberhand gewinnen konnten.
    Ohne Männer wie Wingrove Pollard würde Andrej Wolkow
    heute vielleicht in irgendeinem Kerker des Sowjetstaats
    schmachten. Auf Wingrove Pollard!«
    Und dann wiederholen alle, einschließlich Cayce, die letzten drei Worte und erheben das Glas und trinken unter den Inter-kontinentalraketen und Sputniks des verblaßten Wandbilds im Schatten über ihnen.
     
    Als sie gerade gehen wollen – Parkaboy, Bigend und Cayce
    sollen im Gästehaus übernachten, wo normalerweise Professo—ren von ausländischen Universitäten untergebracht werden –, entschuldigt sich Marchwinska-Wyrwal bei den anderen und
    nimmt Cayce kurz beiseite. Irgendwoher hat er einen großen, rechteckigen, etwa sechs Zentimeter dicken Gegenstand her—vorgezaubert, der in einem offenbar eigens dafür angefertigten Futteral aus dünnem beigefarbenem Wollstoff steckt.
    »Das hier soll ich Ihnen im Auftrag von Andrej Wolkow ü-
    berreichen«, sagt er. »Nur ein kleines
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