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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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führt zu einem schütteren Wäldchen aus jungen Fichten, hinter dem sich ein einstöckiges orangefarbenes Back-steingebäude verbirgt, das wie ein sehr kleines Motel aussieht.
    Es hat vier identische Eingänge und vier dunkle Fenster mit schmucken weißen Spitzengardinen. Über drei Türen brennen Lampen.
    »Du siehst total fertig aus«, sagt Parkaboy und reicht ihr das in Stoff gehüllte, rechteckige Paket. »Schlaf dich erst mal aus.«
    »Ich weiß, daß Sie erschöpft sind«, sagt Bigend zu ihr, »aber ich muß mit Ihnen reden, wenigstens ganz kurz.«
    »Laß dich nicht von ihm aufhalten«, rät Parkaboy, dreht sich dann um und tritt, ohne einen Schlüssel zu benutzen, durch eine der Türen. Sie sieht, wie hinter den Spitzengardinen das Licht angeht.
    »Sie sind nicht abgeschlossen«, sagt Bigend und geht voraus durch die linke Tür. Als sie mit ihren schmerzenden, verbundenen Füßen hinter ihm herschlurft, geht automatisch das Dek-kenlicht an.
    Elfenbeinfarbene Wände, brauner Fliesenboden, handgeweb—ter armenischer Läufer, häßliche dunkel furnierte Möbel im Stil der vierziger Jahre. Sie legt das Wollstoffpaket auf eine Frisier-kommode, deren Spiegel an den Rändern mit eingefrästen Mattglasstreifen verziert ist.
    Sie riecht Desinfektions-oder Insektenvernichtungsmittel.
    Sie hat immer noch den Umschlag in der Hand.
    Sie dreht sich um und sieht Bigend an.
    »Boone hat meine Mails gelesen.«
    »Ich weiß«, sagt er.
    »Aber haben Sie es vorher auch schon gewußt?«
    »Erst als er aus Ohio anrief und mir sagte, wir müßten sofort nach Moskau. Ich habe ihn mit der Gulfstream eines Freundes abholen und nach London bringen lassen. Auf dem Weg hierher hat er es mir gestanden.«
    »Ist er deshalb nicht hiergeblieben?«
    »Nein. Er ist abgefahren, weil ich ihm erklärt habe, daß ich die Partnerschaft mit ihm nicht mehr fortsetzen will.«
    »Und stimmte das? Ich meine, stimmt das?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil er sich in dem, was er tut, für besser hält, als er tatsächlich ist. Mir sind Leute lieber, die besser sind, als sie sich einschätzen.«
    »Wo ist Dorotea?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Haben Sie gefragt?«
    »Ja. Einmal. Sie sagen, sie wissen es auch nicht.«
    »Glauben Sie ihnen?«
    »Ich glaube, diese Frage sollte man besser nicht stellen.«
    »Was hatte sie vor?«
    »Die Seiten zu wechseln. Ein weiteres Mal. Sie wollte diesen Posten in London wirklich haben, und sie hatte ihnen gesagt, daß sie trotzdem auch für sie arbeiten würde. Aber als Ihre Mail bei Stella Wolkowa eintraf und Stella Ihnen geantwortet hat, da sind eine Menge Dinge passiert, das ging Schlag auf Schlag.
    Wolkows Sicherheitsleute überwachen natürlich den gesamten Mailverkeh r von armaz.ru. Sie haben sof ort Kontakt zu Dorotea aufgenommen, die im Laufe einer offensichtlich äußerst inten-siven Unterhaltung zum erstenmal richtig mitgekriegt hat, für wen sie da eigentlich arbeitet – und wen sie da zu verraten im Begriff war, indem sie auf meine Seite hinüberwechselte. Au-
    ßerdem ist ihr anscheinend klar geworden, daß sie denen etwas sehr Wertvolles zu bieten hätte, wenn sie erst mal an Sie range-kommen wäre und rausgekriegt hätte, wie Sie zu dieser Adresse gelangt sind. Und daß sie dafür vielleicht sogar belohnt werden würde, ohne deswegen gleich ihren Job bei Blue Ant aufgeben zu müssen.«
    »Aber woher wußte sie, daß ich inzwischen in Moskau war?«
    »Vermutlich hat sie sich umgehend Ersatz für die letzten beiden Typen beschafft, oder vielleicht waren es ja von vornherein mehr als zwei. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß sie Ihre Überwachung irgendwann abgeblasen hat, zumal nach Tokio. Sie mußte doch bestimmt weiter permanent Berichte über Sie liefern. Und besonders phantasiebegabt ist sie mit Sicherheit nicht. Wenn ihre Leute Sie in Heathrow einchecken sahen, war klar, daß Sie nach Moskau wollten. Abends um diese Zeit kann man mit Aeroflot nirgendwo anders hinfliegen. Sie konnte also mit Leichtigkeit dafür sorgen, daß Sie hier beschattet wurden. Allerdings nicht von Wolkows Leuten. Sie hatte immer noch Verbindungen durch ihren vorigen Job.« Er zuckt die Achseln. »Sie hat auf Ihrer Website gepostet, unter anderem Namen. Wissen Sie das?«
    »Ja.«
    »Erstaunlich. Sie ahnte genausowenig wie wir, wer der Filmemacher ist, bis man es ihr verraten hat, weil man ihr helfen wollte, Sie zu stoppen. Aber Sie können sich ja kaum noch auf den Beinen halten, nicht wahr? Wir sehen uns morgen
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