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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide
Autoren: Federica de Cesco
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Stellung sitzen. Seine Augenbrauen zuckten, er lebte sein Leben hinter wässrigen Augäpfeln. Kranke Menschen ziehen sich nach innen zurück, in die Gefangenschaft der eigenen Heimlichkeiten. Nichts wie raus, dachte ich, er deprimiert mich. Ich ließ ihn in der gläsernen Helle dösen, mit Gedanken, die gewiss unerfreulich waren. Francesca?

2. Kapitel
    I ch stieg die ausladende Treppe aus rötlich geädertem Marmor hinauf, ging durch das blaue Zimmer, das rote Zimmer, das grüne Zimmer, so benannt nach Vorhängen und Tapeten. Ich ging auf Teppichen unter Kronleuchtern mit Glasbehang, kam an Bücher- und Spiegelwänden vorbei, an Sofas und Lehnsesseln. An Tischen, großen und kleinen, mit Marmorplatten oder Einlagen aus Perlmutt, an Kredenzen und Vitrinen voller Nippes und alten Fotos. Im blauen Zimmer stand der indische Schrank, riesig und gespenstisch verschnörkelt; im roten der chinesische Schrank, schwarzer Lack mit goldenen Bäumen, Wolken und Drachen. Den Konzertflügel im grünen Zimmer wagte nicht einmal meine Mutter anzurühren. Sie spielte nur Gitarre, dafür aber gut.
    An den Wänden hingen Ölgemälde, grell beleuchtet oder halb verschwunden in der Dämmerung. Kopien der spanischen oder italienischen Schule, schwermütige Gefühlsergüsse von anno dazumal. Zur Rechten der heilige Sebastian, Schutzpatron der Schwulen, mit Blut bemalt und elegant verrenkt. Zur Linken die heilige Agatha, unerbittlich lächelnd ihre abgeschnittenen Brüste vorweisend. Neben ihr der heilige Petrus, mit dem Kopf nach unten gekreuzigt. Etwas weiter Jesus im Olivengarten, Jesus mit der Dornenkrone, Jesus am Kreuz und Jesus im Grab. Als Nächstes die Jungfrau, blond gelockt und dümmlich-verklärt, mit ihrem fetten Kind auf dem Schoß. Des Weiteren der große Sieg von 1565 gegen Suleyman den Prächtigen, der Beschuss von Sankt Elmo, die Schlacht von Birgo. Aufgewühlte Wellen, die Türkenköpfe – unlogischerweise alle noch mit Turbanen versehen – an Land spülten. Gleich gegenüber die Ahnen, mit ihren Geschichten von Heldentum, Krieg, Totschlag und Vergeltung. Grimmig blickende Ritter, hoch zu Ross oder stehend, das Schwert in der einen Hand, in der anderen die Ordensflagge, weißes Kreuz auf rotem Grund. Damen, jung und rosig oder mit Altfrauengesichtern, für den Ball oder den Kirchgang gekleidet. Wohlbeleibte Gentlemen aus der Zeit Königin Viktorias, mit gewaltigen Schnurr-, Backen und Vollbärten. Ferner eine Anzahl vergrößerter Schwarzweißaufnahmen: Valletta im Ersten Weltkrieg, Valletta im Zweiten Weltkrieg. Die Trümmer, die Flugzeuge, die Kanonen. Es gab Tage, an denen ich diese Ansammlung überhaupt nicht mehr wahrnahm, und andere, an denen sie mir ganz massiv jede Freude verdarben, ich mich bedrückt, überfordert und gequält fühlte.
    Wie würde sich Francesca heutzutage wohl über das Sammelsurium äußern? Würde sie wie ich davon träumen, all die starrenden Augen mit einem spitzen Gegenstand zu durchbohren? Für mich ging eine Linie zurück zu Vorfahren, die ich nie geliebt hatte. Ihre Albträume waren nicht meine Albträume; ich hatte andere, die pragmatischer und womöglich vorbeugender waren. Diverse klinisch Verrückte in den Verästelungen unseres Stammbaums (als Fresko an die Wand der Bibliothek gemalt) bezeugten, dass Zerstörungswut allenthalben gesünder war als Verdrängung.
    Unser Haus, La Casa degli Uccelli – das Vogelhaus – , lag mitten in der Stadt. Francescas Mutter Cecilia hatte noch erlebt, wie die weiblichen Familienmitglieder an Sonn- und Feiertagen im Salon beteten, wenn beim Gottesdienst die gewaltige Pforte der Marienkirche auf der anderen Seite der schmalen Straße offen stand und die Frauen, auf samtbezogenen Bänken vor dem Fenster kniend, dem Gottesdienst beiwohnen konnten, ohne das Haus zu verlassen. Der Gedanke an Cecilia brachte es mit sich, dass ich ein paar Treppenstufen höher stieg und ein Zimmer betrat, nicht sehr groß, aber sonnig, mit Blick in den Garten. Es wurde als Näh- und Bügelzimmer benutzt, aber Mutter hatte es immer als »Francescas Zimmer« bezeichnet.
    Der Parkettboden quietschte unter dem abgenutzten Teppich. Schrank und Kommode waren in schnörkellosem Jugendstil gehalten. Ein weißes Tuch schützte die alte Singer-Nähmaschine vor Staub, daneben stand ein Wäschekorb aus Plastik. Auf dem Bett mit der hellen Sommerdecke stapelten sich frisch gewaschene Handtücher. Über dem Kopfende hing ein frommes Bild, die Muttergottes mit dem Jesuskind. Ein alter
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