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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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Begleitung von Howard und fünf weiteren Lehrern in
Zweierreihen auf den Weg, am Zaun entlang und zum Tor hinaus Richtung Seabrook.
Normalerweise wäre eine solche Unternehmung ein logistischer Albtraum; heute
marschieren sie fast ohne einen Mucks die Meile bis zur Pfarrkirche. Die Gesichter
der Jungen sehen ebenso teigig, frisch geschrubbt und ein wenig nach Ottern aus
wie sonst, wenn sie gerade aus dem Bett gestiegen sind, und beim Betreten der
Kirche fahren sie zusammen - als stünde der Sarg nicht unbeweglich dort
zwischen den Seitenschiffen, sondern hinge über ihnen wie ein Zepter von unermesslicher
Macht, ein Splitter von einer riesigen, unerbittlichen Masse, der aus einer
furchterregenden jenseitigen Sphäre zur Erde herabgetrudelt ist wie der
rätselhafte schwarze Monolith in 2001 - Odyssee
im Weltraum, um ihrem windigen Spielzeughausleben das Ende zu
verkünden.
    Unmittelbar vor Beginn der Messe führt eine Nonne eine
Schar Mädchen aus St. Brigid's herein. Köpfe drehen sich, und unterdrücktes,
aber dennoch hörbar missbilligendes Gemurmel zeigt an, dass das Mädchen, das
die Zentralrolle bei der Affäre gespielt hat, sich darunter befindet. Howard
erkennt sie von den Zeitungsfotos wieder - allerdings wirkt sie hier zierlicher
und jünger, fast noch wie ein Kind, mit feinen Zügen, die ein Vorhang aus
schwarzem Haar rhythmisch wippend freigibt und verdeckt. Nach dem, was man
hört, war Juster, so unwahrscheinlich das anmutet, in eine Art romantischer
Beziehung zu ihr verstrickt, die an jenem verhängnisvollen Abend - dies nun
nicht ganz so unwahrscheinlich - ihr Ende fand. Das Gesicht des Mädchens ist
zweifellos wie dafür gemacht, Herzen zu brechen; dennoch kann Howard dieses
Melodrama nur schwer mit dem unscheinbaren Jungen in Verbindung bringen, der in
seinem Geschichtsunterricht in der mittleren Reihe gesessen hat.
    Beim ersten Ton der Orgel erheben sich die Jungs wie ein
Mann: Tiernan Marsh dirigiert den Chor zu dem Lied, mit dem alle Zeremonien in
Seabrook College eröffnet werden, »Ich bin hier, Herr«. Howard lässt die Augen
verstohlen über die Reihen der jungen Gesichter gleiten, die stur geradeaus
starren, alle Muskeln angespannt, um keine Gefühle erkennen zu lassen; doch
das Lied ist so schön und der Gesang des Chors so schmelzend, dass die Fassaden
alsbald Risse bekommen, Augen sich röten, Köpfe sich senken. Tom Roche, der am
äußersten Eck einer Bank sitzt, rinnen die Tränen herunter; ein schockierender
Anblick, als sähe man seinen Papa weinen. Howard guckt weg - direkt in Pater
Greens Augen. Er neigt hastig den Kopf; alle setzen sich wieder.
    Pater Foley hält die Messe und ist mit den Lippen zu nah
am Mikrofon; jeder Verschlusslaut kommt als Knall durch die Lautsprecher und
lässt die Jungen zusammenzucken. »Wie vielsagend ist es doch«, predigt er und
schüttelt dabei sein erlauchtes, goldlockiges Haupt, »dass Daniels kurzes
Leben sein Ende in einem Restaurant fand, das sich Doughnuts verschrieben hat.
Denn ist nicht in mancher Hinsicht unsere moderne Lebensweise mit einem
solchen Doughnut vergleichbar? >Junkfood<, das nur vorübergehend
befriedigt, scheinbar eine schnelle >Lösung< bietet, in seinem Kern aber
aus einem Loch besteht? Ist das nicht in der Tat die Form einer jeden
Gesellschaft, die den Bezug zu Gott verloren hat? In Seabrook College streben
wir an, dieses Loch mit Tradition, mit geistiger Erziehung, mit gesunden
Freizeitaktivitäten und mit Liebe zu füllen. Das Zeugnis, das unser Vater im
Himmel uns heute ausgestellt hat, sagt uns, dass wir uns mehr anstrengen
müssen. Daniel ist nun mit Ihm vereint. Doch für die anderen Jungen und auch
für uns selbst müssen wir zusehen, aufmerksamer und wachsamer gegenüber den
Mächten der Dunkelheit zu sein, die sich darauf verstehen, in vielerlei
verlockenden Gestalten daherzukommen ...«
    Nach dem Gottesdienst wartet ein Fotoreporter auf den Stufen
zum Kirchenportal. Als es sich öffnet, hechtet er in Position, aber bevor er
auch nur einmal abdrücken kann, stürmt Tom Roche los und pöbelt ihn an. Der
Mann kommt halb hoch, wedelt mit den Händen, bringt Argumente zu seiner
Verteidigung vor; Tom hört nicht hin, schubst ihn weiter rückwärts, bis der Fotograf
den Halt verliert und die Stufen hinab stolpert. Der Automator legt Tom dezent
die Hand auf die Schulter, doch der Mann hat bereits den Rückzug angetreten,
nicht ohne sich bitterlich über die hier praktizierte Zensur zu beschweren.
    Nach der Beisetzung gibt es
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