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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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trifft, du dich nicht so beeinträchtigt fühlst, dass die
weitere Ausübung deiner vertraglich festgelegten Pflichten zum gegenwärtigen
oder zu einem künftigen Zeitpunkt in Angstzuständen, Depressionen oder
ähnlichen Störungen resultiert. Und dass die Firma dir so viel an Zeit und
Ressourcen zur Verfügung stellt, wie du zu deiner vollständigen Erholung benötigst.«
    Der misstrauische Blick wird wieder normal. Lynsey nimmt
eine Karte aus ihrem Terminplaner. »Wenn du das Bedürfnis hast, mit jemandem zu
sprechen, das hier ist der psychologische Beratungsdienst, der für alle
Firmenmitarbeiter zuständig ist. Es ist eine spezielle Billigtarifnummer.«
    Er wendet die Karte hin und her. Schwer zu sagen, ob er irgendwas
von dem Gehörten aufgenommen hat. Aber es sieht zumindest nicht danach aus, als ob er vorhat, sie wegen
des Tragischen Ereignisses zu schröpfen. Lynsey kann zurück ins Büro und Senan
Entwarnung signalisieren, und bei der Vorstellung von seiner erleichterten, ja
freudigen Miene ob dieser Nachricht überkommt sie eine unerwartete Welle von Mitleid
und Dankbarkeit für Zhang. Sie verspricht ihm eine zügige Rückmeldung zu seiner
Bewertung und denkt im Gehen, dass sie ihn, selbst wenn es ihm tatsächlich
nicht in den Sinn gekommen ist, sie zu verklagen (großer Gott, wenn an dem
Abend ein Ire hinter der Theke gestanden hätte! €€€) vielleicht trotzdem auf
Stufe zwei hochpushen wird. Sind ja letztlich bloß zwanzig Euro mehr im Monat.
    Auf halbem Weg zur Tür bleibt sie stehen, glaubt noch
immer eine Spur von Erdbeersirup auf den Fliesen zu sehen und gibt sich einem
kleinen Tagtraum hin, in dem Senan ihren Namen dorthin schreibt - aber dann,
anstatt zu sterben, aufsteht und ihr, Lynsey, tief in die Augen schaut, sich
seinen Ehering vom Finger schraubt und ihn über die Schulter nach hinten wirft
... Sie würden ein Haus in Ballsbridge nahe beim Park haben und ein weiteres in
Connemara am Meer, und drei kleine Jungen, die Senan jeden Morgen zum Seabrook
College fahrt. Aber hier dürften sie nicht rein, die drei. Wenn man einmal
weiß, was in diesen Doughnuts drin ist, kriegt man das kalte Kotzen.
    Die Tage zwischen dem »Tragischen Ereignis«, wie es
mittlerweile allgemein heißt, und dem Trauergottesdienst in der Pfarrkirche von
Seabrook gleichen einer Traumsequenz aus Chaos und seltsam unbeteiligter Ruhe,
wie Fernsehbilder von einem Aufstand ohne Ton. Der Unterricht fällt bis auf
Weiteres aus, und in der Leere, die an seine Stelle tritt, scheint auch alles
andere auf Eis gelegt, als seien die Regeln und Vorschriften, denen der
Schulalltag normalerweise unterliegt, schlicht nicht mehr vorhanden: das Läuten
der Glocke im Dreiviertelstundentakt zum bedeutungslosen Geräusch geworden,
die Flure voller Wesen, die sich wie ferngesteuerte Flugzeuge in einer
Computersimulation bewegen.
    Ein eigenartiger Zustand, der dadurch nicht besser wird,
dass ständig Eltern durch die Flügeltüren hereingestürmt kommen und die Treppe
hinaufrauschen, um sich den kommissarischen Direktor vorzuknöpfen. Ihre Mienen,
in denen sich die wilde Entschlossenheit des erzürnten Kunden mit einer anrührenden,
kindlichen Hilflosigkeit mischt, erwecken den Eindruck, als wären diese
Eltern, deren Söhne vielfach nicht einmal demselben Jahrgang wie Daniel Juster
angehören, bestürzter als alle anderen. Und das sind sie womöglich auch;
womöglich, denkt Howard, sehen sie in Seabrook College tatsächlich ein Bollwerk
der Tradition, Stabilität und Fortdauer, wie es in der Broschüre heißt, und
deshalb müssen sie trotz zweifellos bester Absichten das Tragische Ereignis,
den Selbstmord dieses ihnen unbekannten Jungen, als feindseligen Akt ansehen,
als eine Form von Vandalismus, ein unanständiges Wort, das jemand mutwillig in
die glatte schwarze Politur ihres Lebens geritzt hat. »Warum hat er das bloß
gemacht?«, fragen sie wieder und wieder und ringen die Hände; und der Automator
sagt zu ihnen das Gleiche wie zu den Zeitungsreportern und den Frauen, die am
Schultor auftauchen, vor der Tür, in Our Lady's Hall herumschleichen - dass die
Schule eine umfassende Untersuchung durchführt und er nicht ruhen wird, bis eine
Erklärung gefunden ist, es jedoch im Augenblick für sie alle absolut Vorrang
haben muss, sich um die Jungen zu kümmern und sie zu beruhigen.
    Am Tag der Trauerfeier macht sich, da die Schulkapelle für
diesen Anlass als zu klein erachtet worden ist, der gesamte Jahrgang,
zweihundert Jungen, in
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