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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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dass
er wusste, wohin er sich wenden konnte.«
    »Gern geschehen.« Die Worte pfeifen schwach durch Howards
Lippen, als hätte man seinen Mund mit Novocain vollgespritzt; er schüttelt die
Hand, die der Mann ihm hinstreckt, und spürt innerlich seinen Körper zu Asche
zerfallen. Dann tritt er dankbar zur Seite, als Tom kommt, um sein Beileid
auszusprechen; sein gut geschnittenes Gesicht mit dem markanten Kinn ist von
Mitgefühl gezeichnet.
    Justers Mutter wartet draußen im Auto, und kurze Zeit
später verabschiedet sich auch ihr Gatte, nach einem weiteren Dank an die
Lehrerschaft. Bald darauf beginnt der Cateringservice das schmutzige Geschirr
einzusammeln.
    Die Menge hat sich zerstreut, und der Rest, der weiter zum
Ferry zieht, besteht ausschließlich aus Lehrern in trüber und mieser Stimmung,
die sich durch Saufen um drei Uhr nachmittags nur noch verschlimmert. Binnen
einer Stunde sind alle angetrunken und aus dem Lot. Die Frauen, von denen die
meisten selbst Kinder haben, tupfen sich Tränen ab; die Sonne ist
herausgekommen, sie strahlt durchs Fenster und taucht den Teppich mit dem
scheußlichen Blumenmuster in gleißendes Licht, was Howard in Kombination mit
dem Bier Kopfschmerzen verursacht. Er möchte am liebsten nach Hause, steckt
aber in einer Ecke mit Farley fest, der einen doppelten Whiskey nach dem
anderen trinkt und eine lange, verbitterte Tirade vom Stapel lässt, die kein
eigentliches Thema hat, aber immer wieder auf Pater Foleys Predigt
zurückkommt. »Das soll ein Mann Gottes sein, und was tut er, stellt sich da hin
und faselt dieses schwachsinnige, hohle - ich meine, hat er sich auch nur eine
Sekunde überlegt, was die Leute empfinden?«
    »Ich fand's gar nicht so schlecht«, sagt Howard
unverbindlich. »Ich meine, nicht schlimmer, als zu erwarten war.«
    »Menschenskind, das Leben ist wie ein Doughnut! Hat der arme Kerl nicht schon genug durchgemacht,
muss man ihn auch noch als Metapher für die moderne Gesellschaft ins
Rampenlicht zerren?«
    »Na ja, so ganz unrecht hatte er nicht damit«, sagt
Howard. »Ich bin zwar auch der Meinung, dass es vielleicht nicht gerade geschmackvoll
war ...«
    »Verdammt noch mal, Juster ist nicht an einem Doughnut gestorben,
Howard, sondern an einer Riesenüberdosis Schmerztabletten.«
    »Das weiß ich, aber die Geschichte mit dem Junkfood und
welche Welt wir den Kids hinterlassen ...«
    »Das bestreite ich keine Sekunde. Es ist eine Scheißwelt,
kein Zweifel, und die Kids sind von Anfang an im Fadenkreuz, kriegen zu hören:
kauf dies, kauf das, nimm ab, zieh dich an wie ein Flittchen, tu was für deine
Muskeln - und zwar von erwachsenen Männern, Howard, von erwachsenen Männern und
Frauen, das ist ein unglaublicher Zynismus, aber was ich eigentlich sagen wollte,
ich wollte sagen -« Er kommt ins Stocken, sein Kopf beschreibt vage
Kreisbewegungen wie eine orientierungslose Kompassnadel. »- dieser Schwachkopf,
dieser verblödete alte Zausel und der Automator und alle anderen, die labern
und labern, als ob das von außerhalb käme, der
ganze Mist, und als ob wir das Bollwerk wären, das die Jungen davor schützt,
dabei sind es doch auch wir, Howard, die sie mit unserem eigenen Bockmist
vollstopfen, von wegen Tradition und so weiter, wir sind es, die es ihnen
schmackhaft machen, ihren Thron auf dem Scheißhaufen einzunehmen, als wäre das
wunder was Tolles, wo es doch nur um Geld geht, und wer genau sie sind, ist völlig
nebensächlich, sie sind bloß die Mittel zum Zweck, die Seabrook weiterhin
beschissenes Seabrook sein lassen -«
    »Ich verstehe nicht, was das mit Juster zu tun hat«, wirft
Howard rasch ein, dem auffällt, wie laut Farley geworden ist.
    »Kein Mensch kümmert sich, Howard, das hat es mit ihm zu
tun! Wenn sich wer um den Jungen gekümmert hätte, wäre das nicht passiert, das
garantiere ich dir - doch, das garantiere ich dir«, über Howards gemurmelten
Protest hinweg, »aber es kümmert eben niemanden, stattdessen kommen von uns nur
Lippenbekenntnisse zu Anteilnahme, Wohltätigkeit und all den christlichen
Werten, für die wir vorgeblich einstehen, dabei fläzen wir in Wahrheit schlapp
vor unseren unglaublich hoch aufgelösten Plasmabildschirmen oder fahren mit dem
SUV zu unserem Ferienhaus. Ist das nicht der Witz des Jahrhunderts, so was als
ein christliches Leben zu bezeichnen? Meinst du vielleicht, Jesus wäre in einem
SUV durch die Gegend gebrettert?«
    »He!«, fällt Tom ihm schroff ins Wort. Sie schauen auf:
Seine geröteten, trüben Augen
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