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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: Skippy stirbt (Teil 3)
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einen Empfang in der Schule.
Die Mädchen aus St. Brigid's werden von ihren Bewacherinnen flugs zurück zu ihrer
eigenen Schule getrieben, doch von den Achtklässlern finden sich viele zu dem
dünnen Tee und den triefenden, nach Plastik schmeckenden Sandwichs mit Schinken
und Käse ein, die auf einem Tapeziertisch in Our Lady's Hall serviert werden.
Der schlanke Mann in dem dunklen Anzug, der gerade mit einem der Patres
spricht, ist Justers Vater; er wirkt abgekämpft, ausgelaugt, als habe er die
vergangene Woche im Schleudergang zugebracht. Seine Frau hängt leblos an seinem
Arm wie angespülter Tang und gibt gar nicht erst vor, den unverbindlichen
Worten des Priesters zu folgen. Howard hält Ausschau nach Farley und fragt
sich, wie lange er höflichkeitshalber hier wohl ausharren muss. Dann: »Ah,
Howard, da sind Sie ja«, tönt es ihm ins Ohr. »Würde Sie gern mit jemandem
bekanntmachen.« Bevor er protestieren oder ausbüxen kann, hat der Automator
ihn schon zu dem trauernden Elternpaar bugsiert.
    Die Unterbrechung durch den stammelnden Neuzugang ist
ihnen offenbar nicht willkommen; als jedoch Howards Name fällt, wechselt Justers
Vater schlagartig die Miene - sie öffnet sich, in seltsam buchstäblichem Sinn,
lässt ihn jünger erscheinen und erinnert an seinen Sohn. »Der
Geschichtslehrer«, sagt er.
    »Genau.« Howard weiß nicht recht, wie er sein Lächeln einstufen
soll.
    »Daniel hat oft von Ihrem Unterricht erzählt. Sie nehmen
momentan doch den Ersten Weltkrieg durch.«
    »Ja, ja, ganz richtig«, brabbelt Howard los, krallt sich
daran fest wie an einen Rettungsring, doch schon geht ihm der Gesprächsstoff
aus.
    »Gerade neulich hat er wieder davon geredet. Einer seiner
Urgroßväter war nämlich damals im Krieg dabei, aus der Linie meiner Frau -
das stimmt doch, Schatz?«
    Justers Mutter bringt die Andeutung eines Lächelns
zustande; dann zupft sie ihren Mann am Ärmel, und er beugt sich hinunter, damit
sie ihm hinter vorgehaltener Hand etwas ins Ohr flüstern kann. Er nickt,
woraufhin sie sich mit einem weiteren Lächeln und einem Kopfnicken in die Runde
verabschiedet und durch den Flur verschwindet. »Meine Frau ist sehr krank«,
sagt er fast beiläufig; dann, in nachdenklicherem Ton: »Ja, er hieß Molloy,
William Henry Molloy. Allerdings hat er in Gallipoli gedient, nicht an der
Westfront. Ich glaube, Sinead hat noch ein paar Sachen von ihm irgendwo im
Haus. Wären die für Sie von Interesse? Ich könnte sie gern herauskramen, wenn
Sie möchten.«
»Oh, hm, ich
will Ihnen keine Umstände machen ...«
    »Durchaus nicht, durchaus nicht...« Geistesabwesend
streicht sich der Mann mit einem Daumennagel über die Unterlippe, fängt sich
dann wieder und sagt geradezu im Plauderton: »Er wollte nicht, dass ich
irgendwem etwas von seiner Mum erzähle - Ihnen gegenüber hat er vermutlich
auch nichts erwähnt, oder?« Sein umschatteter Blick trifft Howard, der einen
Moment braucht, um zu begreifen, dass wieder von Juster die Rede ist. Er
schüttelt steif den Kopf.
    »Jugendliche in dem Alter sind so verschlossen - aber das
muss ich Ihnen ja sicherlich nicht eigens sagen.« Der Mann lächelt schwach.
»Haben Sie selbst auch Kinder?«
    »Noch nicht«, sagt Howard und sieht unwillkürlich sein
leeres Haus vor sich, mit dem Fußboden voller Pizzaschachteln und halb gelöster
Sudoku-Rätsel.
    »Sie haben sehr genaue Vorstellungen, wie die Dinge laufen
sollen.« Wieder das seltsam entrückte Lächeln. »Ich hätte natürlich nicht auf
ihn hören sollen, das ist mir jetzt klar. Ich hätte jemanden bitten sollen,
ein Auge auf ihn zu haben. Er hätte ja nichts davon wissen müssen. Aber ich
hatte so viel anderes im Kopf, wissen Sie. So eine Krankheit ist der reinste
Marathon, das ewige Warten auf die Testergebnisse, auf die nächste Behandlungsphase.
Und vermutlich habe ich im Hinterkopf genau dasselbe gedacht wie er, nämlich,
wenn wir alle still abwarteten, dann würde das Ganze vielleicht einfach wieder
verschwinden. Ich habe mir nicht überlegt, unter welchen Druck ihn das gesetzt
hat, alles mit sich allein abzumachen. Nun ist es zu spät.«
    Er verstummt, rührt seinen Tee um, legt den Löffel zurück,
ohne die Tasse zum Mund zu führen, derweil Howard verzweifelt nach tröstenden
Worten sucht. »Aber Mr. Costigan hat mir erzählt«, ergreift der andere als
Erster resolut erneut das Wort, »dass Sie das eine oder andere Mal mit Daniel
gesprochen haben. Dafür wollte ich mich bei Ihnen bedanken. Ich bin froh,
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