Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Autoren: Franziska Seyboldt
Vom Netzwerk:
Kloster gehen oder zu einer Ayurveda-Kur nach Indien, um sich mal wieder auf das Wesentliche zu besinnen. Das hätten sie bei uns billiger bekommen! Auf dem Werbeflyer würde stehen: Besser als im Kloster – buchen Sie jetzt einen Kurzurlaub bei der Müslifamilie. Bei uns gibt es das Abendmahl schon zum Frühstück und das Blut Christi gratis dazu. Seltsamerweise hatten meine Eltern kein Interesse an dieser genialen Geschäftsidee. Dabei hätten wir uns davon ohne Weiteres ein opulentes Frühstück mit Croissants, Orangensaft, Rührei und Brötchen mit Nutella finanzieren können.
    Ich entschied mich also, aus meinem täglichen Klosterurlaub das Beste zu machen, und aß heroisch mein Marmeladenbrot. Das war immer noch besser als die Alternative: Müsli. Was für eine absurde Idee, Haferflocken und Obst in Milch einzuweichen, bis die Konsistenz einem schlechten Händedruck gleicht. Zumal mir von der Milch sowieso übel wurde.
    Und trotzdem verfolgte mich das Müsli bis in die Schule. In Form einer Köllnflocken-Tüte, in die meine Eltern das Pausenbrot einpackten. Wochenlang in die gleiche, um genau zu sein, weshalb ich sie auch nicht wegwerfen durfte. Ja, Recycling war das Lieblingshobby meiner Eltern, lange bevor es ein öffentliches Thema wurde.
    Auch Energiesparen betrieben sie bereits, als die Energiesparlampe noch nicht einmal erfunden war. Early Adopters eben.
    Einmal, in den Weihnachtsferien, wollte ich nach dem Frühstück wieder ins Bett gehen, um mein Buch zu Ende zu lesen. Ich hatte mir eine Wärmflasche mit heißem Wasser gefüllt, einen Teller Kekse geschnappt und ging in mein Zimmer, wo ich mich mit Schwung auf mein Bett warf, um … Aua! Was war das denn?! Mein Bett war bereits besetzt. Von etwas, das mir gerade den Rücken gebrochen hatte. Mindestens. Laut fluchend rollte ich mich zur Seite und wartete, bis der Schmerz nachließ, dann schlug ich die Bettdecke zurück, um zu sehen, was da meinen Platz belegte. Es war ein heißer Kochtopf mit Reis. Ein kochend heißer Kochtopf um genau zu sein, eingewickelt in ein großes Frotteehandtuch.
    Ich ging in die Küche.
    »Mama?! Was macht der Reis in meinem Bett?«
    Meine Mutter unterbrach das Schnippeln der Mohrrüben und drehte sich um.
    »Ach ja, stimmt, hab ich vergessen dir zu sagen. Der soll da ein paar Stunden weiterquellen.«
    »Warum das denn?«
    »Um Gas zu sparen. Das ist in letzter Zeit so teuer geworden.«
    »Nicht so teuer wie meine Rücken- OP .«
    »Was?«
    »Ach, nichts.«
    Weil die wiederverwertbare Haferflockentüte jedenfalls viel zu groß war für das kleine Pausenbrot, schlugen meine Eltern sie dreimal ein. Ästhetisch absolut mangelhaft und ungefähr auf einer Stufe mit den Obdachlosen, die ihre Pfandflaschen in Aldi-Tüten herumtrugen. Und vor allem: Was für ein Unterschied zu dem Equipment meiner Mitschüler. Die hatten ihr Essen in Tupperdosen! Oder in Butterbrotpapiertüten! Die ganz neu waren und die sie danach einfach wegwarfen! Sabrinas Mutter malte sogar jeden Morgen ein Bild auf die Tüte.
    Die Pausenbrote meiner Mitschüler bestanden aus weichem, duftigen Weißbrot, das mit Bärchenwurst oder Scheiblettenkäse belegt war. Wenn sie einen Apfel dabeihatten, war er schon geschält, geviertelt, entkernt und luftdicht in einer Tupperdose drapiert, und es weiß ja wohl jeder, dass Apfelstücke immer besser schmecken als ein ganzer. Meine Mitschüler tranken Capri-Sonne, und danach bliesen sie die Tüten auf und ließen sie platzen. Sie kauften Milchtüten am Getränkeautomaten, und wenn die leer waren, spielten die Jungs damit Fußball. Manchmal hatten sie sogar eine Milchschnitte oder ein Knoppers dabei. Oder Mini-Babybel-Käse. Oder einfach Fruchtzwerge. Oder Bifi. Oder einfach alles auf einmal.
    Glücklicherweise hatten wir in der 3 b eine gut florierende Tauschbörse, die sich nicht nur auf Aufkleber, Fußballbildchen und Ü-Eier-Figuren beschränkte. Nein, wir tauschten auch unser Essen, und einige meiner Freundinnen fanden mein Dinkelbrot mit vegetarischem Aufstrich und Essiggürkchen tatsächlich so erstrebenswert, dass sie mir im Gegenzug dafür ihre Süßigkeiten gaben. Oder sie tauschten eine Bifi gegen meinen Apfel und fanden ihn »total lecker, weil er so richtig nach Apfel schmeckt«. Komisch, also ich fand die Bifi deshalb so gut, weil sie eben nicht nach Wurst schmeckte, sondern nach … na ja, Bifi.
    Manchmal bekam ich auch das Bäckergeld von Silke. Ihre Eltern waren geschieden und sie lebte bei ihrer Mutter,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher