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Mürrische Monster

Mürrische Monster

Titel: Mürrische Monster
Autoren: Royce Buckingham
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ihnen geben.«
    Nate hob einen Kleiderständer an, der im Gegenzug versuchte, sich vorzubeugen und ihm die Jacke abzunehmen. Er hielt den Ständer schräg, schwang ihn in weitem Bogen herum und schlug damit das große Panoramafenster ein.
    KLIRR!
    »Verzeih mir, Seattle«, flüsterte er.
    Die Dämonen auf dem Dachboden wurden munter. Sie starrten herüber, dann schlichen einige auf Nate zu, um nachzusehen, was los war. Der erste, der das Fenster erreichte, war ein altes Kamerastativ, das immer wackelte, wenn jemand versuchte, ein Foto zu machen. Es stakste an Nate vorbei und stellte vorsichtig ein Bein aufs Fensterbrett. Als Nate es nicht davon abhielt, kletterte es hinaus und war verschwunden.
    »Geht ruhig.« Nate nickte den anderen aufmunternd zu.
    Einer nach dem anderen verließen sie das Haus in dem Glauben, nur Nate zu entfliehen. Sie begriffen nicht, dass sie in Wahrheit einem Raubtier entkamen, das schon unterwegs war, um sie zu fressen.
    Als Nächstes begannen die Phantomgeräusche und -gerüche hinauszuströmen. Geflüster-im-Dunkeln zog an Nates Ohren vorbei, zum Verrücktwerden leise Worte, wie eine wichtige, sich endlos wiederholende Botschaft, die man niemals richtig versteht. Betörende Zimtdüfte, die Nate in Versuchung führten, die Nasenflügel zu blähen, kamen vorbei, gefolgt von einem unerwarteten, säuerlichen Gestank nach Hundekot.
    Alles, was fliegen konnte, schwebte hinaus und ließ sich vom Wind davontragen.
    Aus dem Tröpfeln wurde ein Strom, dann eine Sturzflut, und die Dämonen schossen aus dem Fenster, als würden sie im Vakuum des Weltalls aus einem Raumschiff gesaugt. Die zum Greifen nahe Freiheit erweckte viele von ihnen zu neuem Leben. Einige wurden rasch größer, sobald sie der Enge des Dachbodens entkamen, so wie Zunder, Kail und Flappy, als sie das Haus verlassen hatten. Nate wusste, dass sie mit den Menschen aneinandergeraten würden. Doch sie verdienten es zu leben, und mit dem Chaos zurechtzukommen war schließlich ein Teil des menschlichen Daseins. Es war immer noch besser, als sie sterben zu lassen, und Nate stand daneben und sah zu, während ein Massenexodus aus dem Fenster polterte wie eine vorbeidonnernde Büffelherde.
    Nachdem die eifrigsten der selbstmotivierten Dämonen das Weite gesucht hatten, begann Nate, die Kartons mit den weniger agilen Exemplaren aus dem Fenster zu kippen, und hielt nur inne, um größeren Nachzüglern auszuweichen, die plötzlich an ihm vorbeischossen. Er musste noch immer Entscheidungen treffen. Eine Kamera, die absichtlich immer dann ein Foto gemacht hatte, wenn man gerade blinzelte, hatte keine Priorität – solche Kameras gab es in Massen –, aber er sorgte dafür, dass der mittelalterliche Helm, der laute Pupsgeräusche von sich gab, wenn man ihn aufsetzte, in die Freiheit entkam. Dabei fragte er sich, wie viele Ritter der Helm wohl seinerzeit auf diese Weise blamiert hatte.
    Bald waren fast alle Dämonen, die seine Vorgänger über die Jahrhunderte hinweg hier angehäuft hatten, auf und davon, und Nate beobachtete seufzend, wie sie nach und nach in Seattles verregneten Abend entschwanden. Er fragte sich, ob die anderen dasselbe getan hätten, wären sie an seiner Stelle gewesen.
    BUMM! BUMM! BUMM!
    Nate erwachte aus seiner Erstarrung, wandte sich um und sah, wie der hölzerne Rahmen der Metalltür zersplitterte. Es folgte ein Moment der Stille, dann explodierte die Tür nach innen. Er ging in Deckung, als die Tür an ihm vorbeiflog, um genau an der Stelle gegen die Wand zu prallen, wo er eben noch gestanden hatte. Der Dämonenfresser streckte seinen runden Kopf durch das grobe Loch in der Wand; seine Glupschaugen suchten den Dachboden ab, die spitzen Reißzähne knirschten.
    Nate sprang auf, während das Ungeheuer seinen O berkörper durch die Öffnung zwängte. Es war noch größer geworden, nachdem es die Dämonen in den unteren Stockwerken verschlungen hatte. Immer neue Gliedmaßen schossen aus den glitschigen Gelenkpfannen hervor – Klauen, Pranken, Scheren –, was immer gerade nötig war, um die Wände und Dachbalken niederzureißen. Reiß- und Stoßzähne rotierten in seinem Maul und bearbeiteten abwechselnd den Wandputz.
    Nate trat zur Seite, um einem heraneilenden Paar Schuhe Platz zu machen, die ihre Besitzer immer an Orte brachten, zu denen diese eigentlich gar nicht wollten – einmal hatte er sie angezogen und war unbeabsichtigt auf den Friedhof gegangen, wo der Grabstein seiner Eltern stand. Hinterher war er froh darüber
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