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Mürrische Monster

Mürrische Monster

Titel: Mürrische Monster
Autoren: Royce Buckingham
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hätte, auf die Hand zu klettern. Andererseits hätte sie auch nichts dagegen gehabt, wenn die Sonne heute ausnahmsweise einmal nicht unterginge.
    »Komm schon, er beißt nicht«, drängte ihr Vater. »Es ist doch bloß eine Skulptur.«
    Der riesige Troll bestand tatsächlich aus Zement – ein verrücktes Kunstwerk an einem ungewöhnlichen Ort. Das Gesicht blickte mit einer Miene auf sie herab, die sie nicht deuten konnte. Missfallen? Verärgerung? Oder etwa Hunger? Sie holte tief Luft, beugte sich vor und fand eine Stelle, an der sie sich festhalten konnte. Sie schloss die Augen, während sie sich an einem rauen Betonfinger emporzog, der größer war als sie selbst, dann wandte sie sich um und bedeutete ihrem Vater, schnell das Foto zu schießen.
    Ihm war klar, dass es keine andere Gelegenheit geben würde, und so drückte er auf den Auslöser, dann zur Sicherheit rasch noch ein zweites Mal. »Okay, zurück zum Wagen«, sagte er. »Beeil dich, der Regen wird stärker.« Damit huschte er unter der Brücke hervor und verschwand.
    Die Sonne versank hinter den Inseln und ließ sie mit dem Troll allein. Graue Regenwolken verbargen den Mond, deshalb wurde es unter der Brücke augenblicklich finster. Sie wandte sich um und wollte wieder hinabklettern, blieb aber mit dem Kleid an einer Betonkante hängen. Das Gesicht des Trolls schwebte im Halbdunkel undeutlich über ihr, aber es war riesig und starrte finster auf sie herab. Sie zerrte an ihrem Kleid; ob sie es zerriss, war ihr egal, sie wollte einfach nur weg von diesem Ort. Einen Moment lang tat sich nichts. Aber dann gab der Stoff plötzlich nach, und sie war frei. Während sie sich an dem Riesenfinger zu Boden gleiten ließ, überschlugen sich ihre Gedanken. Hatte sich das Kleid von selbst gelöst, oder hatte der Troll sich bewegt? Unmöglich , dachte sie, und ohne abzuwarten, ob noch irgendetwas geschah, stolperte sie hastig hinter ihrem Vater her.
    Nach zehn Schritten, sie hatte die Brücke schon fast hinter sich gelassen, hörte sie es in ihrem Rücken poltern.
    RUMPEL! KNIRSCH!
    Ihr Herz schlug einen Purzelbaum, und die Augen traten ihr hervor wie umgedrehte Untertassen. Dann wurde ihr plötzlich klar, was der Gesichtsausdruck der Betonfigur bedeutet hatte. Das war kein Missfallen, Ärger oder gar Hunger gewesen. Den Troll hatte genau wie sie die Angst gepackt.
    Beklommen riskierte sie einen Blick über die Schulter und schnappte nach Luft. Die Stelle unter der Brücke war leer, bis auf den ausrangierten, aufs Dach gekippten VW-Käfer. Daneben klaffte ein riesiges Loch im Boden. Die Figur war verschwunden.
    Sie starrte die verstreuten Betonklumpen auf der Straße an, auf der der Troll davongerannt war. Wenn die Leute morgen früh aufwachen, erwartet irgendjemanden eine gewaltige Überraschung , dachte sie. Dann nahm sie die Beine in die Hand.

2. Kapitel
    Morgenstund hat
Gold im Mund
    Vier klobige Holzbeine marschierten auf den oberen Treppenabsatz zu. Sie staksten vernehmlich über den Fußboden, während von draußen die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster krochen und helle Lichtsplitter in den Flur warfen. Quer zur obersten Treppenstufe blieb das Bett stehen und schüttelte sich so heftig, dass es dem friedlich darunter schlummernden Dreizehnjährigen die Decke wegzog.
    Richie wälzte sich herum und angelte nach der Bettdecke. Doch sie wich vor seiner Hand zurück und entlockte ihm ein langgezogenes Gähnen. Vom Licht geblendet, zuckte er zusammen. Schließlich kapitulierte er, schwang die Beine aus dem Bett ... und purzelte die Treppe hinunter wie ein liebenswerter Tolpatsch, der vorübergehend den Boden unter den Füßen verliert.
    HOLTERDIEPOLTER-BAUZ-PARDAUZ!
    Verschlungen wie eine Brezel lag Richie am Fuß der Treppe und starrte zwischen seinen Beinen hindurch wütend zum Bett hinauf.
    »Verdammt noch mal, aua!«
    Er enthedderte sich mühsam und griff nach einem heruntergefallenen gerahmten Foto eines Adlers, der gerade herabstößt, um einen Lachs zu fangen. Dann zielte er damit auf das Bett, aber auf einmal wuchsen dem Bilderrahmen Flügel, und er schwebte harmlos durch die Eingangshalle, bis er an der Wand landete, wo er sich, leicht schief, festkrallte.
    Das Bett schüttelte sich vor Vergnügen und wackelte den Flur entlang. Richie rappelte sich hoch und nahm die Verfolgungsjagd auf.
    »Jetzt reicht’s aber, du blödes Ding!« Er stürmte die Treppe hinauf, schlitterte auf Socken über den Fußboden und suchte nach Halt wie eine durch die Luft
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