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Mueller und die Tote in der Limmat

Mueller und die Tote in der Limmat

Titel: Mueller und die Tote in der Limmat
Autoren: Raphael Zehnder
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Entschuldigungen; mehr als genug. Er war im Dauereinsatz. Urlaub kannte er nicht. Wenn er nicht für den Vatikan unterwegs war, erledigte er Depeschen für Palm. So gefiel ihm sein Leben. Ein Tag jagte den anderen, er fühlte sich am Puls der Zeit: wichtig und nützlich. Manchmal berauschte ihn das Gefühl, selbst am Rädchen des Weltenlaufs zu drehen, weil er die Leute zusammenbrachte, die an den Fäden hinter den Kulissen zogen. Stahl wusste selten, was gespielt wurde, er war nur der Kurier. Es war besser, nicht zu wissen, ob er mit einem Koffer Dynamit oder mit Depeschen unterwegs war, die einer Region bessere Lebensumstände versprachen. Jetzt hatte er keine Depesche dabei, dafür Erinnerungen an einen verstorbenen Freund, den er gern noch etwas gefragt hätte.
    Stahl besass keinen Schlüssel für Albins Wohnung. Aber als Agent des Papstes beherrschte er das Handwerk, Türen auch ohne zu öffnen. Prangten auf dem Wappen des Vatikans nicht die beiden Schlüssel Petri? Stahl musste jedes Mal daran denken, wenn er sich an einem Schloss zu schaffen machte. Es klackte. Die Riegel sprangen unter dem Druck der Schliesswerkzeuge auf.
    Es roch nach Vatikan in der Wohnung. Anders wusste Stahl den Geruch nicht zu beschreiben, der ihn umhüllte. Vielleicht hatte Albin ein italienisches Putzmittel benutzt. Jedenfalls glich die scharfe Sauberkeit, die in Stahls Nase biss, sehr den Duftnoten seines Arbeitgebers. Eine Vertrautheit breitete sich in Stahl aus, die ihn zugleich rührte. Es war Trauer, die das Wissen um die eigene Vergänglichkeit auslöste: Jahre, die wie im Flug an ihm vorbeigerast waren ohne Innehalten, ohne dem Fragen nach dem Morgen und dem Ziel. Jetzt bahnten sich Fragen den Weg an die Oberfläche. Gleichzeitig schleppten sie schwere Tränen mit. Stahl hustete sie aus. Er wollte nicht, dass sie ihm über die Wangen liefen, wischte sie weg, noch ehe sie genug Tropfen waren, um das Lid zu verlassen.
    Er tastete nach dem Lichtschalter und knipste ihn an. Eine Jugendstillampe erhellte den Flur und zeigte ein halb leer geräumtes Bücherregal. Stahl erkannte, dass der Moder der Folianten die Duftnote des Potpourris war, die ihn an Rom erinnerte. Er selbst hatte die alten Schinken nie gemocht. Sie waren ihm zu schwerfällig. Er war ein Mann der digitalen Welt. Er mochte auch die Folklore der Gardisten nicht. Wie war er froh gewesen, als er endlich nicht mehr mit der Hellebarde und dem blau-gelben Gewand Wache schieben und exerzieren musste.
    Es lag ihm fern, eines der Bücher anzufassen. Sie erinnerten ihn zu sehr an die drei Jahre, in denen er in der Bibliothek des Vatikans aushelfen musste. Zuerst hielt er es für reine Zeitverschwendung. Nicht nur, dass er die Bücher schleppen musste – der Camerlengo forderte von Stahl auch, das ein oder andere davon zu lesen und mündlich zusammenzufassen. Aber auch damit nicht genug: Der Kämmerer selbst zitierte ihn alle zwei Wochen zu sich und forderte ihn auf, Stellung zu beziehen. Mal zu Augustinus, dann zu Thomas Hobbes, das nächste Mal zu Ignatius von Loyola, Franz von Assisi oder Immanuel Kant. Und wenn es der Camerlengo ganz lustig meinte, konnte er in einer Sitzung ansatzlos von Mussolini zu Sergio Leone und von Brecht zu Max Frisch springen.
    Stahl spürte, wie ihm allein bei dem Gedanken an die alten Verhöre der Schweiss auf die Stirn stieg. Erst später begriff er, wozu diese «Inquisitorischen Sitzungen», wie sie der Kämmerer scherzhaft zu nennen pflegte, nützlich waren. Stahl erhielt nicht nur ein Studium in Philosophie, Theologie und Literatur auf zweitem Bildungsweg, er lernte auch, Wissen zu verknüpfen und schlagfertig damit rhetorische Waffen zu schmieden. Man hatte ihn nicht nur militärisch geschult, sondern auch seinen Geist geschärft. Und das war die Voraussetzung, dass er sich nun als Spezialagent des Vatikans in feinere Stoffe hüllen durfte.
    Er stieg über einen mit Büchern gefüllten Karton und ging in den angrenzenden Salon. Auch hier knipste er das Licht an und war überrascht, eine bewusstlose Frau auf dem Ardakan-Teppich liegen zu sehen.

    Palm säbelte mit einem stumpfen Messer durch die Kruste des Cordon bleu, spiesste die eroberte Ecke auf die Gabel und zögerte, ehe er sie sich in den Mund schob. Er witterte Salmonellen, so wie er den noch immer lauernden Nutten Filzläuse der dritten Generation unterstellte. Immerhin liess es sich kauen. Wenn es erst einmal drin war, war es egal. Sein Handy fiepte. Stahl.
    «Ja?»
    Während er dem
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