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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers
Autoren: Robert Jackson Bennett
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bloß zwei Whiskeys getrunken hat, stellen Sie aber verdammt viele Fragen.«
    »Ich muss es wissen. Mehr will ich nicht. Bitte.«
    »Ich glaube, ein Stück nordwestlich hinter dem Lager. An dem alten Baum. Ein schiefer, großer, toter Baum. Sie können ihn nicht verfehlen.«
    Connelly dankte ihm für die Drinks und ging.
    Draußen war die Sonne so tief gesunken, dass ihr Licht ein blassrosa Heiligenschein in der Ferne war. Schattenteiche flossen aus Gassen und Gräben auf die Straßen. In der Dunkelheit glühten erbärmliche Lagerfeuer und glichen verrückten Glühwürmchen oder Kometen. Connelly suchte sich seinen Weg durch die Straßen, dann durch das Lager und schließlich weiter zu den Hügeln auf der anderen Seite der Stadt.
    Als er über das Unkraut und die Steine ging, schaute er sich um, konnte aber kein anderes Lager finden. Vor ihm lagen nur die zunehmende Dunkelheit und die undeutlichen Umrisse des Landes. Der Lärm der Zikaden hob und senkte sich, unterstrichen vom Ruf der Nachtfalken, die hoch oben am Himmel kreisten. Während er den nächsten Hügel erklomm, entdeckte er das schmutzige Leuchten eines kleinen Feuers in der Nähe und genau darüber das verkrümmte Skelett eines uralten Baumes. Er blieb stehen, beobachtete die Flammen und stieg dann weiter in die Höhe. Das leise Gemurmel einer ruhigen Unterhaltung drang an seine Ohren, und er blieb stehen.
    Er nahm die Mütze ab und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. Er kniete sich hin, um nachzudenken, und die Stimmen wurden lauter. Dann ertönte ein heiserer Ruf. »Wenn Sie herkommen wollen, dann kommen Sie. Wir können nicht den ganzen Tag auf Sie warten.«
    Connelly zögerte, dann stieg er den Hügel weiter hinauf. Drei Männer standen vor dem Feuer und schauten zu ihm herunter, die Gesichter in der Dunkelheit verborgen. Derjenige, der ihm zugerufen hatte, war sehr groß, zwar nicht so groß wie Connelly, aber genauso breit. Sein Gesicht schien gealtert und verbraucht; zur Hälfte wurde es von einem wild wuchernden Bart versteckt. Der Mann neben ihm war kleiner und von schlankerem Wuchs, sein Gesicht war schmal und recht ansehnlich, er wirkte irgendwie amüsiert. Der dritte Mann war klein und stattlich. Seine Augen glänzten wässrig und ängstlich, auf Kinn und Oberlippe wuchs ungestutztes Haar. Er trug eine speckige Melone, von der er die Finger nicht lassen konnte, und er blieb ein Stück hinter den beiden anderen zurück.
    »Das Lager ist dort unten«, sagte der Anführer. »Da gibt es genug Platz.«
    »Ich bin nicht hergekommen, um mein Bettzeug auszubreiten«, sagte Connelly.
    »Was wollen Sie dann?«
    »Eine Frage stellen.«
    »Eine Frage also? Nun, wenn Sie eine Frage haben, dann stellen Sie sie.«
    »Ich suche jemanden.«
    »Ach?«
    »Ja. Einen … Mann. Einen Mann mit Narben. Dessen Wangen zerschnitten sind.«
    Sie antworteten nicht, standen völlig reglos da, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie blieben so still wie Statuen, die einen Hügel krönten, mit ausdruckslosen Mienen und dunklen Gesichtern.
    »Habe gehört, ihr sucht ebenfalls nach ihm«, fuhr Connelly fort. »Kam nur, um … mehr darüber zu erfahren. Sonst nichts.«
    Die Männer sprachen noch immer kein Wort, blickten einander auch nicht an, um stumm Zwiesprache zu halten. Sie blieben viel länger stumm, als es einem Mann zustand.
    »Warum sucht ihr ihn? Was hat er getan? Was hat er euch angetan? Wer … wer ist er?«
    »Das Lager ist dort unten«, sagte der Anführer, dieses Mal leiser. »Da ist genug Platz.«
    Connelly betrachtete die Männer noch einen Augenblick lang, wartete auf eine Antwort oder zumindest ein Zeichen, dass sie wussten, wovon er sprach. Sie taten nichts dergleichen. Er ging den Hügel hinunter in Richtung Lager. Als er zurückschaute, standen sie noch immer da und beobachteten ihn, völlig reglos, als wären sie ein Teil des Hügels.
    Es war spät, als Connelly wieder die Ebene erreichte, und es schien ihm unmöglich, sich den Weg vorbei an den alten Schrottautos und schäbigen Behausungen zu bahnen. Er suchte sich das Ufer eines kleinen Flusses aus, der nicht weit vom Lager entfernt floss. Dort entrollte er sein Bettzeug, warf es zu Boden und legte sich hin, schaute hinauf zu den Sternen und lauschte dem sorgenerfüllten Murmeln der anderen Reisenden. Er holte eine kleine Flasche Whisky hervor und nahm einen großen Schluck. Als er ihm durch die Kehle rann, verzog er das Gesicht, dann nahm er noch einen Schluck und sah zu, wie der
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