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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers
Autoren: Robert Jackson Bennett
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kennen zahllose Länder und viele Glaubensbekenntnisse. Sie kennen keine Nation und keine Richtung, keine Regierung und kein Gesetz. Allein der Hunger führt sie, und darum überleben sie den nächsten Tag. Sie sind Pilger und Nomaden, Vagabunden und Wanderer, sie hält nichts weiter zusammen als die Früchte, die die Erde ihnen freiwillig überlässt. Von den Großen Seen zum Pazifik. Von den Rocky Mountains und ihrem langen Rücken zu den schlammigen Fluten des Atlantiks. Überall dort sind sie gewesen, haben diese Orte ihr Zuhause genannt, ihnen Namen gegeben und sind dann weitergezogen.
    Sie haben viel gesehen, und sie werden noch viel mehr sehen. Sie sind schon zuvor hier gewesen. Sind schon immer hier gewesen. Werden immer hier sein, bis die Welt scheitert, und erst dann werden sie wahrhaft heimatlos sein und von uns gehen.
    Sie verbreiten Gerüchte. Gerüchte über den Mann mit den Narben, der noch immer unter ihnen ist und seinen Mantel aus Nacht und sein grimmiges Lächeln mit sich führt. Wir haben ihn gesehen, behaupten einige von ihnen. Wir haben gesehen, wie er über genau den Boden schritt, auf dem wir jetzt gehen. Er ist zurückgekehrt. Er ist wieder da.
    Das Flüstern wird lauter, als die Morgendämmerung über das Land wogt. Er kommt aus dem Westen, heißt es. Kommt aus dem Westen mit großen Schritten, die Augen fest auf den Osten gerichtet. Ein hochgewachsener Mann mit zerzaustem Haar und wucherndem schwarzem Bart, vernarbt von Kopf bis zu den Zehen. Aber er ist jetzt anders. Nicht halb so bösartig, nicht halb so wild. Er ist zu diesem gewaltig großen Ding geworden, mürrisch und unbewegt, mit ausdrucksloser und doch grimmiger Miene. Er ist ein neuer Mann, der sich auf eine andere Weise bewegt und darum eine andere Spur hinterlässt.
    Ein Taxifahrer setzte das Gerücht in die Welt, dass man bei jedem seiner Schritte die Schritte Tausender hören kann, die in Reih und Glied Aufstellung nehmen, eine Armee, die irgendwo in den Schatten hinter ihm marschiert. Schlägt er sein Lager auf und entzündet sein Feuer, nimmt der Rauch in der Luft Formen an, die an eine Menschenmenge erinnern, die in seiner Nähe kauert, Millionen von ihnen, die grau und kalt und hoffnungslos sind. Die Zigeuner flüstern sich zu, dass während er dort draußen schläft, seine Brust Geräusche von kreischendem Stahl macht und ihm dicker schwarzer Rauch wie von brennendem Öl aus Mund und Nase dringt. Und ein Straßenprediger behauptet, dass, als der Narbenmann nach St. Louis kam, die ganze Stadt von Albträumen heimgesucht wurde, in deren Mittelpunkt ein großes Feuer stand, und dieses Feuer breitete sich aus und verschlang die unwissende Welt.
    Man sagt, dass er in seinen Taschen nicht das Schicksal einzelner Menschen trägt, sondern das Schicksal von Städten, Nationen, der ganzen Erde. Für ihn sind wir wie Ameisen, die aus ihrem Hügel schwärmen. Mit einer Handbewegung verbrennt er den Himmel, und ein Blinzeln vernichtet eine ganze Stadt. Er bringt den neuen Weg. Er bringt die neue Welt. Und er bringt das Morgen, und darum trauern wir.
    Die Menschen hören zu, die Neuigkeit breitet sich aus. Bald wissen es alle, die Landstreicher, die Wanderer. Sie sickert in die Dörfer und blutet in die Städte. Springt in die Häfen und schwimmt flussabwärts. Und während die Geschichte weitererzählt wird, werden sich die Menschen einer wachsenden Dunkelheit bewusst, dem Gefühl eines tief sitzenden Schreckens, als sich der Boden unter ihren Füßen bewegt und dreht und sich zu einer neuen Gestalt verformt.
    Alles ändert sich, sagen sie. Die Zeit vergeht und lässt uns hinter sich zurück.
    Sie werden stiller, und zum ersten Mal hören sie auf, sich zu bewegen. Alle verharren reglos, bleiben an Ort und Stelle stehen und heben die Köpfe. Sie alle, die Menschen in den Städten und die Menschen auf den Farmen, die bei der Arbeit und die zu Hause, Männer und Frauen, jung und alt. Sie alle bleiben stehen und wenden sich dem Horizont zu, nach Osten und nach Westen, wenden sich dem zu, was sich dort zusammenbraut und in einer Sekunde oder einem Monat oder einem Jahr zutage tritt.
    Etwas kommt auf uns zu, flüstern sie, als sich die Wolken über ihnen verfinstern. Etwas ist ganz nahe.
    Hör doch. Hör doch zu. Hörst du es denn nicht? So hör doch!

Danksagung
    Tausendundein Dank an Carrie, Carla, Ashlee, Jameson, dem allzeit bereiten Kameramann Josh, meiner erstaunlich geduldigen Familie, Cameron und DongWon dafür, dass sie sich auf
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