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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly
Autoren: Peter Heinisch
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ließ sie Marco nicht allein gehen. Und natürlich trug er ihre Reisetasche, wie es sich gehörte.
    Obwohl diese Reisetasche ja lächerlich leicht war. Wenn ich etwas länger bleiben sollte, dachte Julia, werde ich mir ein paar Sachen kaufen müssen. Aber sie war sich dessen noch keineswegs sicher. Vielleicht würde sie ja auch nur kurz bleiben und gar nichts weiter brauchen.
    Marco wollte noch eine
merenda
bereiten, aber sie sagte, das müsse nicht sein. Sie habe ja spät gefrühstückt, und die Oliven, die sie zum Sekt gegessen hatten, reichten ihr vorläufig. Sie würde jetzt gerne ganz einfach ein Stündchen schlafen. Aus diesem Stündchen wurden volle drei Stunden.
9
    Wie Marco dann diesen Abend inszenierte ... Gewiss, das war zweifellos eine reife Regieleistung ...
Aperitivo
auf der Mauerkrone mit rubin- oder granatrotem Sonnenuntergang über Montalcino, das man von hier aus prächtig auf seinem Hügel liegen sah ... Und Taubenflug und Amselgesang und jede Menge Schwalben, die mit jubelnden Jagdschreien in der vorerst noch lauen, blauen Luft kreisten.
    Und dann, als der Tramontana aufkam und Julia sich einen Pullover von drinnen geholt hatte, ganz drüben im Westen noch immer die Wolken mit den leuchtenden Rändern ... Und dann, schon im Halbdunkel, einige Fledermäuse ... Und dann, gekonnt eingesetzt und aufeinander abgestimmt, der Klang der Glocken zweier Kirchen ...
    Ja, lächelte Marco. Er habe keinen Aufwand gescheut.
    Und die Glocken hatten zwar erst acht geschlagen, aber es wurde jetzt doch schon wieder ein wenig früher dunkel. Und Julia fand es zwar schade um den Anblick des nunmehr märchenhaft glitzernden Montalcino, aber er bot ihr seinen Arm. Und das war fast der alte Marco, diese spielerische Ironie in Mimik und Gestik. Gestatten Sie, dass ich Sie ins
Interieur
geleite, Madame, sagte er,
le souper est préparé
.
    Und drinnen dann dieser schön gedeckte Tisch ... Weißes Tischtuch, silbern glänzende Kerzenleuchter, gelbe und rote Rosenblätter ... Und Musik aus raffiniert verborgenen Boxen ... Nicht etwa Vivaldi, sondern irgendetwas Exklusiveres, vielleicht Monteverdi.
    Und all die Leckerbissen, die Marco vorbereitet hatte ... Prosciutto, aber nicht irgendein Supermarktschinken, sondern einer von einem Züchter dieser schlanken, fast eleganten Schweinerasse Cinta Senese ... Und Pecorino, der nicht aus irgendeiner Schafsmilch hergestellt war, sondern aus der von Schafen, die noch in den
crete
weideten ... Wo sie die schmackhaften Kräuter fraßen, die nur auf diesen besonderen Lehmhängen wuchsen und sonst nirgends.
    Marco erwähnte das nur nebenbei. Nicht etwa um sich zu brüsten, aber um klarzustellen, dass dieser Abend auch kulinarisch ein besonderer sein sollte. Und natürlich waren diese netten Antipasti nur der Anfang. Denn wir sind in Italien, Signorina, und das ist ein Kulturland.
    Also folgten noch etliche schöne Gänge. Alle kalt, aber exquisit, von der Pasta Fresca über Vitello Tonnato bis zum Roastbeef mit frischen Feigen. Und danach ein Tiramisu, das seinem Namen (
Zieh mich hoch
, was, wenn man sich diesen Namen auf der Zunge zergehen lässt, ja beinah nach einer Droge aus der romantischen Hippiezeit klingt; wie war das gleich, was hatten sie dort in Woodstock gesungen?
I wanna take you higher!
), ein Tiramisu jedenfalls, das seinem Namen mehr als gerecht wurde. Und es war wirklich erstaunlich, wie und wann Marco das alles herbeigehext hatte.
    Es war wohl einfach so, dass er fix damit gerechnet hatte, dass Julia kommen würde. Und dass er sich ausgerechnet hatte, wann sie, wenn sie am Tag nach seinem Telefonanruf losfuhr, hier sein konnte. Nämlich, so wie er sie einschätzte (nicht die Frau, die etwas mehr als tausendzweihundert Kilometer einfach durchfahren würde), zwei Tage später. Und das fand sie, so sehr ihr das alles imponierte, wieder ein bisschen ärgerlich.
    Dass sie so berechenbar war für ihn. Und dass er sie das jetzt bewusst oder unbewusst merken ließ. Er brauchte nur zu pfeifen oder mit den Fingern zu schnippen, und sie kam. Nach all den Jahren, in denen er es nicht einmal der Mühe wert gefunden hatte, ihr eine Postkarte zu schreiben.
    Das war ärgerlich, ja. Und nicht nur ein bisschen. Das holte sie wieder von der schönen Tiramisu-Höhe herunter. Anderseits bewies dieser ganze Aufwand doch, wie viel ihm an ihr lag. Und was er sich alles einfallen ließ, war beeindruckend.
    Zum Essen hatten sie vorerst noch Weißwein getrunken. Einen Verdicchio aus Umbrien zur
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