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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly
Autoren: Peter Heinisch
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Pasta und zum Vitello. Und dann, zum Roastbeef, einen guten Schluck Chianti Classico. Aber nun präsentierte Marco den Brunello.
    Mit feierlicher Miene. Einen Brunello, Jahrgang 1986! Das war das Jahr, in dem sie auseinandergeraten waren. Nachdem sie die Gelegenheit, oben in Montalcino zwei Gläser zu trinken, nicht genutzt hatten. Und das hatte fatale Folgen gehabt.
    Aber das war, wie man nun sah, noch nicht aller Tage Abend gewesen. Und jetzt konnten sie das Versäumte nachholen. Dort wieder anknüpfen, wo das Band zwischen ihnen abgerissen war. Die ausgefransten Enden wieder zusammenfügen.
    Ungefähr das hatte er anscheinend im Sinn, mit einem dreizehn Jahre alten Brunello! Einem Wein, der um ein Jahr älter war als Julias Sohn Benjamin. Und natürlich hatte Marco diesen edlen Tropfen rechtzeitig geöffnet. So einen Wein muss man atmen lassen, sagte er, für jedes Jahr seines Alters eine Stunde.
    Ach ja, das war alles perfekt vorbereitet. Aber war das nicht erst recht wieder ein Beweis für seine Unverschämtheit? Wenn er den Wein tatsächlich vor dreizehn Stunden geöffnet hatte, was hatte das zu bedeuten? Richtig: dass er einfach davon ausgegangen war, dass er das Fläschchen heute Abend mit ihr trinken würde.
    Oder hätte er es, wenn sie nicht gekommen wäre, allein ausgetrunken? Das allerdings war ein trauriger Gedanke. Wenn sie sich vorstellte, wie er einsam beim Brunello saß und bei all den guten Sachen, die sie jetzt miteinander genossen hatten ... Da war sie dann doch froh, dass sie ihrem ersten Impuls gefolgt und schon am nächsten Tag ins Auto gestiegen war.
    Das alles war doch sehr schön in Szene gesetzt. Und, ja, das wusste eine Frau wie Julia schon zu würdigen. Sie lächelte gnädig und prostete Marco zu. Ein Kuss war jetzt auch angemessen, aber natürlich ein keuscher Kuss – Marcos bartlose Lippen fühlten sich eigenartig glatt an.
    Er war trotzdem geneigt, die Position, in die sie somit geraten waren – beide vom Tisch aufgestanden, sein Arm um ihre Hüfte gelegt –, einige Sekunden länger als nötig beizubehalten. Aber dann, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen, ließ er sie los und wandte sich einer hinter dem Tisch stehenden Kommode zu. Öffnete eine Lade und nahm ein Kuvert heraus. Da ist übrigens etwas, sagte er, das ich dir noch zeigen wollte.
    Sie setzten sich wieder. Du hast mich ja am Nachmittag gefragt, was es mit den neuen Nachrichten von Mortimer auf sich hat, sagte er.
Dunque
, vielleicht hab ich mich am Telefon etwas missverständlich ausgedrückt. Der Brief, den ich hier gefunden habe, ist nicht neu, sondern fünfzig Jahre alt. Aber für uns ist, was darin steht, neu, auch wenn es die These bestätigt, die wir von Anfang an gehabt haben.
    Was denn für eine These?, fragte Julia.
    Die, dass die Geschichte von Mortimer und Molly eine Liebesgeschichte war. Ja, eine Liebesgeschichte. Und was für eine!
    Und mit diesen Worten schob er ihr das Kuvert über den Tisch.
10
    Das Kuvert wirkte glaubwürdig alt, tatsächlich. Abgegriffen, als hätte es jemand oft in den Händen gehabt. Ein bisschen zerrissen, als hätte jemand den Brief, den es enthielt, zahllose Male herausgenommen und wieder hineingeschoben. Rechts oben klebten zwei Briefmarken mit dem Kopf von Präsident Truman.
    Der Poststempel war ein bisschen verwischt, nicht zu lesen. Aber der Brief, den Julia dann herausnahm und vorsichtig entfaltete, war datiert.
    May 2nd 1949
.
My beloved Molly
...
    Julia las. Und ein wenig kamen ihr beim Lesen die Tränen.
    Aber woher hast du diesen Brief?, fragte sie dann.
    Ich habe ihn hier gefunden, sagte er.
    Hier?
    In dieser Kommode. In dieser Lade.
    Unglaublich, sagte sie.
    Ja, sagte er, unglaublich. Aber wahr.
    Unter der Schicht Karton, die man über den Boden der Lade gebreitet habe.
    Sie stand auf und trat neben ihn. Er öffnete die Lade.
    Den Karton, von dem er gesprochen hatte, gab es tatsächlich. Das Holz darunter war durchsetzt von winzigen Wurmlöchern.
    Er schloss die Lade wieder. Julia kehrte auf ihren Platz zurück und las den Brief noch einmal. Besonders die letzten zwei Zeilen gingen ihr nah.
So many words, because I can

t touch you, my love. If I could sleep with my arms round you, the ink would stay in the bottle.
    Schenk mir noch ein Glas Wein ein, sagte sie.
    Er schenkte ihr ein. Sie trank. Sie schwieg eine Weile.
    Ja, sagte sie schließlich, das ist ein sehr schöner Brief.
    Hätte
er
ihr damals, vor dreizehn Jahren, so einen Brief aus Amerika geschrieben,
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