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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis
Autoren: Michael Marrak
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so, als wolle er sich vergewissern, dass ich tatsächlich eigenständig atmete. Wahrscheinlich hatte er die unartikuliert gekrächzten Laute, die ich von mir gegeben hatte, gar nicht verstanden. Meine Stimmbänder hatten in den zwei Monaten, während derer ein Tubus in meinem Hals gesteckt hatte, hörbar gelitten. Erst später wurde mir bewusst, dass ich Kobe gesprochen hatte.
    Niemand redete daraufhin mit mir; zumindest nicht wie mit einem vernunftbegabten Menschen. Sowohl Ärzte als auch Pflegepersonal gaben nur sinnleere Phrasen von sich, als müssten sie ein verschrecktes Kleinkind beruhigen. Offenbar glaubten sie, ich stände unter Schock. Oder sie waren der Meinung, mein Gehirn sei durch den Unfall, das lange Koma und mein zwischenzeitliches Abtreten ›weich‹ geworden. Ich würde wohl einen Intelligenztest über mich ergehen lassen müssen, ehe man mir eine direkte Frage stellte. Vielleicht überließen sie das Fragenstellen auch den Leuten vom britischen Konsulat.
    Eine wohlbeleibte Schwester begann mich mit lauwarmem Wasser zu waschen, als wolle sie rasch alle Gerüche beseitigen, die mich fälschlicherweise als Leichnam brandmarkten. Ich verspürte quälenden Durst. Am liebsten hätte ich die Waschschüssel ausgetrunken. Irgendwann begannen mich die Sinneseindrücke zu überfordern, und ich schlief ein. Hoffentlich hielten sie mich nicht erneut für tot und karrten mich zurück in den Keller …
     
    Sie mussten mir ein Schlafmittel gespritzt haben. Als ich die Augen öffnete, drang schummriges Sonnenlicht durch die schweren, vor die Fenster gezogenen Vorhänge. Ich fror zwar nicht mehr so sehr wie in der vergangenen Nacht, und auch der Durst war erträglicher geworden, aber man hatte mich mit nacktem Oberkörper liegen lassen. Offenbar sollte mir eine Lungenentzündung doch noch den Garaus machen. Zudem quälte mich ein wachsendes Hungergefühl.
    Ich starrte auf die Wanduhr, die über der Zimmertür tickte. Sie zeigte kurz nach vier Uhr nachmittags. Über eine Stunde lang lag ich wach im Zimmer und beobachtete das schleichende Kreisen der Zeiger. Es war beruhigend, wieder in der Obhut einer Uhr zu sein. Erinnerungen aus der Duat-Stadt mischten sich mit Impressionen aus dem Sanatorium. Niemand sah nach mir. Entweder war mein Zustand stabil genug, oder die Schwestern hatten Angst vor mir. Ich kannte die Einheimischen. Kehrte jemand ins Leben zurück, der eigentlich hätte tot sein müssen, konnte es nicht mit rechten Dingen zugehen. Womöglich befürchteten sie, mein Zimmer beherberge einen Unheil stiftenden Ach- Geist …
     
    Ein zweites Erwachen. Mein Kopf war nach links gesunken, ich hatte das Kopfkissen nassgesabbert. Die Zeiger der Wanduhr waren um knapp drei Stunden vorgerückt. Draußen war es noch immer hell. Im Zimmer schien sich auf den ersten Blick nichts verändert zu haben. Der Tropf fütterte mich mit Infusionslösung. Erst durch ein sanftes Streicheln auf meinem Handrücken bemerkte ich, dass jemand neben mir saß. Ich drehte meinen Kopf – und sah dabei gewiss drein wie ein Idiot.
    Die junge Frau auf dem Stuhl neben meinem Bett wischte sich eine lange schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie trug westliche Kleidung; ein modisch geschnittenes, grünes Kleid und eine über die Stirn in die Haare geschobene Sonnenbrille, die an ihr ebenso fremd wie elegant wirkte. Als unsere Blicke sich trafen, senkte sie das Kinn auf die Brust und legte erwartungsvoll die Stirn in Falten.
    »Sahia?« Meine Stimme war nur ein Flüstern.
    Die Frau hob spöttisch einen Mundwinkel. »Men keb hatar«, sagte sie sanft. »Du hast dein wirkliches Leben wieder.«
    Ich starrte sie an. »Da bin ich mir nicht so sicher«, krächzte ich.
    »Wärst du lieber tot?«
    Mein Herz pochte hart gegen die Rippen. Ich merkte, dass mein geschwächter Körper keine Aufregung vertrug. »Wie kannst du hier sein?«, flüsterte ich. Meret machte ein Dreimal-darfst-du-raten-Gesicht. Ich schluckte schwer. »Sag jetzt bitte nicht, dass ich in Wirklichkeit neunundvierzig Jahre im Koma lag …«
    Sie wiegte den Kopf. »Fühlst du dich so alt?«
    Ich betrachtete meine Hände. »Nein.«
    »Bald wirst du dich alt fühlen.« Ihr Blick war ernst geworden. »Dann wirst du merken, dass ewiges Leben ein Fluch ist. Ich hatte dich gewarnt, Thot herauszufordern. Das Gnadengeschenk, das er dir gab, ist ein zweischneidiges Schwert.«
    »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, unterbrach ich sie. »Wie kannst du hier sein?«
    Meret nahm meine
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