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Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
Autoren: Jennifer Wolf
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heraus, um sich die erste von meinen jungen Schwestern genauer anzusehen. Mein Blick glitt wieder zu meiner Mutter, welche mich mit Tränen in den Augen ansah. Sie lächelte, aber ich sah ihr an, dass auch sie Angst hatte. Ich atmete tief durch und versuchte mich auf meinen Herzschlag zu konzentrieren. Um uns herum begannen Vögel zu zwitschern und zwischen den Bäumen traten Rehe, Füchse und andere Tiere hervor. Angezogen von Gaias Erscheinung, blieben sie stehen und beobachteten die Göttin. Iria und ich wechselten einen kurzen Blick. Angst wühlte nun den ruhigen blauen See in ihren Augen auf und ließ ihn zu einer tobenden Gischt werden. Ich musste nicht erst sehen, dass Gaia sich uns näherte. Ich spürte sie. Wie ein Kitzeln auf der Haut, … ein Vibrieren, tief in meinem Bauch. Sie näherte sich Iria, welche vor ihr in die Knie ging und meine Hand losließ.
    »An Schönheit mangelt es dir wahrlich nicht, Tochter«, sagte die Göttin, was mir Tränen in die Augen trieb. Ich wollte Iria nicht verlieren und schluchzte leise auf. Gaia sah mich sofort mit ihren schillernden Augen an und tat einen Schritt auf mich zu. Während Iria sich neben mir erhob, ging ich in die Knie. Ich sah einen Moment lang zu, wie das Gras unter Gaias Füßen zu wachsen begann, bevor sich eine warme, tröstende Hand unter mein Kinn legte und es anhob.
    »Erhebe dich, Tochter«, sagte die Göttin und ich tat es. Ehrfürchtig sah ich in ihr jugendliches Gesicht, das dennoch erfahren wirkte. Sie war weder alt noch jung. Um ihre Augen waren ein paar Lachfältchen, welche sich nun zusammenzogen, als Gaia die Mundwinkel hob.
    »So ein reines Herz«, flüsterte sie glücklich. »Eine warme, gütige Seele.« Sie ging einen Schritt rückwärts und musterte mich von oben bis unten. »Und wunderschön dazu.« Gaia kam wieder auf mich zu und nahm mein Gesicht in ihre beiden Hände. Mein Herz klopfte kräftig gegen meinen Brustkorb und ich hatte das Gefühl, dass mein ganzer Körper taub vor Angst war. »Du sollst es sein, Maya Jasmine Morgentau.«
    Ich sog scharf die Luft ein, als die Frauen um mich herum in tosende Freudenrufe ausbrachen.
    Das ist jetzt fast genau ein Jahr her.

TEIL 1

1. ABREISE IN EIN NEUES LEBEN

    Noch zwei Tage.
    Übermorgen muss ich mein altes Leben verlassen und im Schoße der Göttin ein neues beginnen. Für heute habe ich mir vorgenommen nicht an die Zukunft zu denken, sondern ein letztes Mal durch die Stadt zu laufen. Gaia hat sie Hemera genannt. Sie ist friedvoll und geschäftig. Die Menschen, die mir begegnen verneigen ihr Haupt vor mir, denn ich bin an meiner Haartracht eindeutig als Hüterin zu erkennen. Geflochtene Haare tragen viele Frauen, aber nur bei uns Hüterinnen sind sie so lang. Viele erkennen mich noch von der Vorstellung letztes Jahr. Man hat mich bejubelt und beglückwünscht, weil ich gewählt worden bin. Ich gehe an einer Bäckerei vorbei, wo eine freundlich lächelnde Frau mit rosigen Wangen Brot an die Menschen verteilt. Eine Währung wie vor tausend Jahren haben wir nicht. Jeder wird mit allem versorgt, was er braucht, solange er sich fleißig beteiligt. Faulenzen gibt es nicht, jeder hat seine Aufgabe zu erfüllen. Ob es nun das Bauen von Häusern, das Brotbacken, das Nähen, das Jagen oder das Lehren ist. Jeder hat seinen Platz in Gaias Ordnung. Hemera kann man nicht mit den Städten der Vergangenheit vergleichen. Die Häuser sind klein und eng aneinander geschmiegt. Die Straßen aus Kopfsteinpflaster oder Kies sind schmal und verbreiten die verschiedensten Gerüche. Brot, Gewürze, Grillfleisch.
    Trotz des geschäftigen Treibens nehmen sich immer wieder Männer und Frauen die Zeit, um stehen zu bleiben und mir alles Gute zu wünschen. Ich nehme ihre Wünsche dankend entgegen und lächele selbstbewusst. Auch wenn ich das innerlich nicht bin.
    Ein Mann in einem weißen Laborkittel kommt mir entgegen. Er wirkt fremdartig in dieser Umgebung, doch so ist auch sein Arbeitsplatz. Am Rande unserer sicheren Zone stehen nur vereinzelt Häuser und im Norden die einzige Fabrik, wo er offensichtlich arbeitet. Dort werden Dinge aus der alten Welt hergestellt. Fernseher, Musik-Chips, Windräder und Solaranlagen. Gaia hat der Menschheit nicht alle technischen Errungenschaften genommen, aber für alles bestehen eine Menge Auflagen und die Geräte wurden in vielerlei Hinsicht von der Göttin verändert, um möglichst wenig künstliche Stoffe zu verwenden. Der Mann im Kittel umarmt eine Mutter mit zwei Kindern, die
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