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Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)

Titel: Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
Autoren: Jennifer Wolf
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Teller mit blassen Fingern von sich zu schieben. Ich erhasche einen flüchtigen Blick auf das helle Blau seiner Augen und bin für einen Moment wie gefangen von ihrem eisigen Anblick. Es ist Jesien, der meine Aufmerksamkeit von ihm losreißt. Er schiebt sich in mein Blickfeld und lächelt mich freundlich an.
    »Nun, wie gefällt es dir bisher hier?«, will er wissen und nimmt einen Schluck Wein. Roten, um genau zu sein und so, wie er sich danach die Lippen leckt, ist er wohl sehr köstlich.
    »Darf ich auch etwas?«, frage ich und deute auf sein Glas. Jesien lacht herzhaft und ein Glas Rotwein erscheint direkt vor mir.
    »Komm mit mir und ich werde deine Geschmacksknospen für den Rest deines Lebens streicheln«, raunt er und zwinkert mir mit seinen haselnussbraunen Augen zu. Ich schlucke und versuche mich an einem unbefangenen Lächeln.
    »Hey Jesien«, fällt Sol in das Gespräch ein, »vergiss nicht, sie gehört erst einmal Aviv und dann mir!«
    Aviv lacht amüsiert und nimmt einen Bissen von dem Braten. Dem Aussehen nach ist es Wild. Vorsichtshalber koste ich zuerst die Kartoffel, die mit einer köstlich aussehenden Soße kunstvoll beträufelt sind. Eigentlich habe ich keinen Hunger, aber ich bin froh etwas zu tun zu haben und solange ich den Mund voll habe, muss ich auch nicht reden. Heimweh überkommt mich und schiebt sich in mein Herz wie ein gezackter Dolch. Es schnürt mir die Kehle zu und drückt meine Schultern herunter. Schnell nehme ich einen großen Schluck von Jesiens Wein und seufze freudig über den Geschmack.
    »Gut, hm?«, will er wissen, nachdem er einen Bissen heruntergeschluckt hat. Seine herbstlaubroten Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab, als hätte der Wind sie zerzaust. Ihr Rotton ist dunkler und kräftiger als der meiner.
    »Ja, sehr. Dankeschön«, antworte ich und koste etwas von dem Braten. Er lässt sich wie Butter schneiden und ist einfach nur grandios.
    »Frisch aus meiner Welt«, triumphiert Aviv, als er mit funkelnden Augen feststellt, dass mir das Fleisch schmeckt.
    »Köstlich«, versichere ich ihm und hebe Jesiens Weinglas an den Mund. Die Männer lachen sich gegenseitig an. Außer Nevis, der sich kurz mit seiner Mutter zu unterhalten scheint.
    »Aviv ist mein Erstgeborener«, beginnt Gaia plötzlich laut zu erzählen. »Mit ihm begann alles zu wachsen, doch mir wurde bewusst, dass nicht alles immer weiter wachsen kann, sondern dass es eine Art Hochphase der Natur geben muss.«
    »Den Sommer?«, frage ich und Gaia nickt.
    »Ich brachte Sol zur Welt, doch schon bald spürte ich, dass die Natur eine Erholung brauchte.«
    »Also bekam sie mich und ich ließ alles gemächlich welken«, spricht Jesien weiter und lacht vor sich hin. Er hat eindeutig genug getrunken, hält aber schon wieder ein neues Glas Wein in der Hand. Gaia nickt ihrem Sohn zu und ihre Augen werden traurig.
    »Die Natur brauchte Schlaf, um sich zu erholen«, spricht sie weiter. »Deshalb bekam ich meinen Jüngsten, Nevis, der die Welt mit einer weißen Decke aus Schnee belegt und ihr die Ruhe und den Frieden gibt, um wenige Monate später die Kraft zu haben, erneut mit Aviv zu erwachen.«
    Das klingt in meinen Ohren wunderschön. Von der Seite habe ich den Schnee noch nie gesehen. Gaia sieht herüber zu Nevis, der seinen Blick aber nicht aus der Ferne ins Hier und Jetzt holt, sondern irgendwo ins Nichts zu starren scheint.
    »Mutter, darf ich dich etwas fragen?« Meine Stimme klingt zum Glück nicht so zittrig, wie sich meine Hände anfühlen. Ein gütiges Lächeln breitet sich auf Gaias Gesicht aus.
    »Natürlich, mein Kind.«
    »Wer ist der Vater der Jahreszeiten?«
    Alle um mich herum beginnen zu lachen. Selbst Nevis‘ Mundwinkel scheinen sich ein wenig nach oben bewegt zu haben. Genau kann ich es allerdings nicht sagen, da ich ihn nur von der Seite sehen kann. Gaia klatscht in die Hände und lacht ein glockenhelles Lachen.
    »Herrlich, Maya, das hat mich noch niemand gefragt«, freut sie sich.
    Ehrlich nicht?
    »Nein, wirklich«, bekräftigt sie ihre Aussage, nachdem sie meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet hat. »Maya, ich bin eine Göttin. Ich brauche keinen Vater. Ich bin Vater und Mutter in einer Person.«
    Ich starre sie mit großen Augen an. Natürlich. Gaia kann erschaffen wen oder was auch immer sie will. Wie naiv es von mir war zu fragen. Schamesröte tritt in mein Gesicht und ich versuche verzweifelt von den mich auslachenden Augen wegzusehen. Doch dann merke ich etwas … irgendwas ist plötzlich
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