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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will
Autoren: Claire Seeber
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anderen Menschen.
    »Ich mag Hopper eigentlich nicht so besonders. Sein Stil liegt mir nicht.«
    »Oh«, schweigend machte ich mich daran, diese Information zu verdauen. Mickey öffnete die Elastikriemen von Louis’ Buggy. Ich sah zu, wie seine langen Finger damit spielten. »Ach, du magst ihn gar nicht?«
    »Wen?«
    »Hopper. Oder willst du mich nur ärgern?«
    »Nein, ich mag ihn wirklich nicht.«
    Manchmal sehnte ich mich zurück nach den Tagen der Freiheit und Leere. Nach jener Freiheit, in der er noch nicht diese Macht über mich gehabt hatte.
    »Langweiliger Käse. Eher dein Stil, oder?«
    Nach den Tagen, in denen die alte Jess noch nicht verschwunden war. Ich warf die gebrauchten Haushaltstücher in den Papierkorb. Doch dann sah er mir in die Augen und hielt inne. Er beugte sich über mich und küsste mich auf die Stirn.
    »Ich habs nicht böse gemeint. Ich bin einfach müde, Jessica. Ich habe ziemlich viel gearbeitet, um dir weiter diese hübschen Diamanten kaufen zu können. Hey?«
    Ich wollte all diese Geschenke gar nicht. Sie machten mich eher nervös. Ich war einfach nur glücklich mit ihm. Aber es stimmte: Er sah wirklich erschöpft aus. Dunkle Schatten lagen über seiner hellen Haut, seine Wangenknochen traten noch stärker hervor als sonst.
    »Es tut mir leid. Ignorier mich einfach. Ich brauche nur ein bisschen Schlaf.«
    »Wir beide«, dachte ich verdrießlich, als Mickey mich auf den Scheitel küsste. Bevor ich noch antworten konnte, war er weg. Er sagte noch etwas, das ich nicht verstand. Doch er hatte Louis mitgenommen, wie ich voller Erleichterung bemerkte. In letzter Zeit schien er nicht gerade vernarrt in seinen Sohn, was mich erstaunte. Vielleicht waren wir ja gerade dabei, die Rollen zu tauschen. Meine Liebe zu Louis wuchs jeden Tag, während Mickey mehr und mehr das Interesse an ihm zu verlieren schien. War das möglich? Vielleicht hatte er das Gefühl, nicht mehr so sehr gebraucht zu werden, was mich beunruhigte. Auch aus diesem Grund hatte ich mir einen Tag wie den heutigen seit langem gewünscht.
    »Was? Mickey?«, rief ich. »Was hast du gesagt?« Aber dann trat uns ein schmächtiger Typ mit Bart in den Weg. Er stolperte über den Buggy mit den unzähligen Taschen. Ich ergriff seinen Arm, um ihn zu stützen und entschuldigte mich, als sei alles mein Fehler. Im nächsten Augenblick war Mickey schon weit vorne, stolz das Baby auf dem Arm tragend. Wie ein Gockel stolzierte er davon, aufrecht, groß und schlank. Er ging in die Tate Gallery hinein.
    Ich entwand mich dem Griff des Bärtigen und folgte den beiden, die ohnehin schon außer Sicht waren. Ich sah mir die Bilder an, aber irgendwie nahm ich sie nicht wahr. Sie schienen alle ein wenig verschwommen zu sein, so, als wären wir unter Wasser. Ich hatte dieses seltsam gespannte Gefühl im Bauch, das man hat, wenn man zu viel Kaffee trinkt. Dann fiel mir die Frau wieder ein. Irgendetwas an ihr ließ mir keine Ruhe, aber ich kam nicht dahinter, was.
    An jenem Morgen ließ mich etwas aus dem Schlaf schrecken, und einen Augenblick lang wusste ich nicht, wo ich war. Ich hatte geschlafen wie eine Tote oder vielmehr wie ein frisch gebackener Elternteil. Die Nacht zuvor hatte ich zu viel getrunken. Da ich Alkohol gerade nicht gewöhnt war, schwirrte mir heute der Kopf. Ich glaube, es war etwa fünf Uhr, weil die Flugzeuge zu landen begonnen hatten. Ich horchte nach dem Baby, doch Louis war ausnahmsweise ruhig, und so blieb ich ein Weilchen ruhig liegen. Ich dachte an den gestrigen Abend. Mickey und ich waren in der Oper gewesen und hatten Champagner getrunken, genauso wie bei unserem ersten Date im Jahr davor. Ich hatte das neue Kleid getragen, das Mickey mir zum Geburtstag gekauft hatte, tiefrosa, tief ausgeschnitten und wahnsinnig aufregend, Darling. Während des zweiten Aktes hatte er mich vollkommen überrascht: Er hatte sich über mich gebeugt, obwohl um uns herum lauter Kunden saßen, und hatte mir zugeflüstert, wie schön ich sei. Er hob mein Haar ein wenig an, um mich auf den Nacken zu küssen, wobei ich mir auf die Lippen biss, um mein aufflackerndes Begehren zu unterdrücken. Doch ehrlich gesagt war dies keineswegs das Schönste an jenem Abend. Auch nicht die Sänger mit dem großen Gestus oder die vielfarbigen Kostüme in der Vorstellung, für die wir uns so spontan entschieden hatten. Auch nicht die tragische Liebesgeschichte, in die ich mich in dieser lang ersehnten Babypause fallen lassen konnte. Nicht einmal die hart erkämpfte
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