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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will
Autoren: Claire Seeber
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wirklich genug, als mir plötzlich ein schrecklicher Gedanke kam. »Und was war mit Robbie, Mickey?« Ich stand auf. »War er dir auch irgendwie im Weg?«
    Louis’ Köpfchen fiel im Schlaf schwer zurück. Sein Vater bettete es wieder an seine Schulter, während er vor mir stand und in drängendem Ton sagte:
    »Damit hatte ich überhaupt nichts zu tun, das musst du mir glauben. Ich habe ihn überhaupt nicht gekannt. Er und Maxine – der Himmel weiß, was da ablief – aber das war nur zwischen den beiden. Mit mir oder Agnes hatte er nichts zu tun.«
    »Aber das weißt du genau, oder? Zum Teufel, Mickey, du warst es, der mir gesagt hat, ihr sei nicht zu trauen. Warum also hast du ihr getraut?«
    »Ich weiß einfach, dass sie mit diesem Todesfall nichts zu tun hatte, es ging ihr nur um Louis.«
    »Ach ja. Und was ist mit diesem irrsinnigen Schlag, den sie mir versetzt hat?«
    »Ich weiß nicht, Jessica, aber sie hat jedenfalls nicht versucht, dich zu töten. Sie wollte dich nur aufhalten. Wobei sie wohl schon ziemlich durchgedreht war. Sie wollte Louis’ Pass holen, weil ich ihn ihr nicht geben wollte. Dann hörte sie uns telefonieren und dachte, ich würde dir sagen, wo Louis ist. Also schlug sie dich nieder.«
    Ich trat einen Schritt von der Bank zurück. Meine Welt war immer noch wie Alice’ Wunderland – größer, kleiner, größer, kleiner.
    »Und die Frau in der Tate Gallery? Das Model, Claudia? War das wirklich nur Zufall?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Aber ja. Wir hatten auf dem Foto-Shooting über Hopper gesprochen, und Claudia interessierte sich dafür. Ich habe dir doch gesagt, dass ich jemanden getroffen habe, den ich beruflich kenne. Da bin ich ganz sicher.« Dann sah er Louis voller Liebe an. »Hör mal, glaubst du nicht, wir könnten … noch einmal von vorn anfangen.« Mickey, der nicht wusste, was Demut war, flehte mich an.
    Ich aber schnitt ihm das Wort ab. »Eine Chance für uns? Bist du verrückt geworden? Jetzt gib mir einfach Louis, Mickey. Ich habe genug von diesem Zirkus.« Energisch strich ich mir das Haar aus dem Gesicht, das vor Angst schweißnass war. »Es ist vorbei. Ich will meinen Sohn zurück – jetzt auf der Stelle.«
    Schnell stand er auf und ging weg. Ich folgte ihm. Dieses Mal würde ich mit Zähnen und Klauen um meinen Sohn kämpfen. Er stand da und sah auf die Stadt hinunter. Ich wappnete mich gegen das, was nun kommen würde. Er sah Louis an, der grummelnd in seinen Armen erwachte. Was jetzt wohl die Vorübergehenden von uns dachten? Eine glückliche, kleine Familie, die die ersten Strahlen der Septembersonne genießt?
    »Vergiss es, Mickey!«
    Er zögerte. Meine innere Stimme sagte mir, dass er Louis viel zu sehr liebte, um das tun zu können. Doch er stand an einer gefährlichen Stelle, genau dort, wo der Hügel steil nach unten abfiel. Er war verzweifelt. Wenn er Louis hergäbe, wäre er vollkommen allein. Wieder einmal wurde mein erschöpfter Körper von Angst durchgeschüttelt. Von dem Schmerz, der sich dahinter aufstaute, völlig abgesehen. Doch ich streckte die Arme aus und versuchte, ihr Zittern zu verbergen.
    »Das bist du mir schuldig, Mickey. Nach alldem«, sagte ich weich zu ihm. Er sah mich an. Seine dunklen Augen füllten sich mit Tränen.
    »Was wirst du tun?«, flüsterte er.
    »Ich weiß nicht. Ich muss erst darüber nachdenken. Ich brauche ein wenig Zeit, um das alles zu verdauen.«
    »Es tut mir so leid, Jessica. Ich hätte ihn für dich zurückgeholt. Ich schwöre. Ich hätte ihn nicht bei ihr gelassen.«
    Ich streckte meine Arme weiter aus. Mickey ebenfalls. Louis würde gleich anfangen zu weinen. Ich konnte das spüren. Seine kleine Unterlippe fing schon an, sich zu kräuseln. Und dann legte der zutiefst erschütterte Mickey mir langsam seine kostbare Bürde in die zitternden Arme. Unsere Finger berührten sich, als ich das Baby nahm. Der Schmerz, den er dabei empfand, war so wahrhaftig, dass man ihn hätte aufzeichnen können. Doch Mickey war mir mittlerweile gleichgültig. Jetzt war ich an der Reihe. Für ein Leben mit Louis.
    Ich nahm ihn, spürte das leichte Gewicht auf meinen Armen und drückte ihn an mich. An Mickey verschwendete ich keinen Blick mehr. Ich konnte ihn einfach nicht ansehen. Ich hatte nur Augen für mein Baby. Ich saugte ihn in mich auf, den zarten Schwung seiner Wangen, sein dickes kleines Mondgesicht, den milchigen Geruch nach Baby. Dann ging ich weg. Ich hielt Louis warm im Arm. Der sachte Wind verfing sich in meinen Haaren.
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