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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will
Autoren: Claire Seeber
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Dann gab ich ihm einen Kuss, drückte ihn an mich und ging mit ihm auf und ab, um ihn zu beruhigen. Gerade als ich anfing, sauer zu werden, kam Mickey um die Ecke geschlendert und strich sich das dichte Haar aus den dunklen Augen. Er winkte jemandem zu, den ich nicht sehen konnte, und da war es wieder. Dieser vertraute Ansturm der Lust, des angstvoll drängenden Begehrens. Ich war wie eine irre Motte, wie eine alte, verrückte Motte, die immer und immer wieder mit dem Kopf gegen das Licht fliegt. Wann hatte ich nur meinen Verstand verloren?
    Mickey entschuldigte sich halbherzig und nahm mir das Baby ab, um es zu knuddeln. Leichthändig hielt er es vor seiner eleganten, schlanken Gestalt. Er meinte, er habe jemanden getroffen, den er beruflich kannte, und über dem Gespräch ganz die Zeit vergessen. Mit der Zufriedenheit einer Fünfzehnjährigen bemerkte ich, wie zwei extravagante Italienerinnen meinen gut aussehenden Mann interessiert beobachteten. Stolz lächelte ich ihn an und hob den Mund zum Kuss. Was Mickey übersah, denn er summte dem Baby eine Melodie vor – es war die Erkennungsmelodie einer Fernsehsendung, die wir gestern gesehen hatten. Also tat ich so, als würde ich meinen Rock mustern.
    »Schau nur«, grummelte ich. »Der ist hinüber.« Ich nahm eines der Feuchttücher fürs Baby und versuchte vergeblich, die Flecken zu beseitigen. Stattdessen verschmierte ich sie nur weiter.
    »Ich habe dir doch gesagt, du sollst nichts Weißes anziehen, du Doofkopf«, sagte er, wobei er seinen Kopf immer noch ganz woanders zu haben schien.
    »Es war ja nicht mein Fehler. Diese komische Frau ist über mich hergefallen, und ich bin aufgesprungen.«
    Er hörte gar nicht zu.
    »Außerdem war der Rock bislang das einzige einigermaßen Hübsche, was mir noch passte.« Ich versuchte, nicht allzu muffig zu klingen. Mickey schaukelte das Baby auf den Knien. Ich bemühte mich, mich ein wenig zu entspannen. Dem Himmel sei Dank, dass er heute wenigstens an Louis Interesse zeigte. Er warf einen Blick auf die Flecken, an denen ich immer noch herum rieb.
    »Du machst alles nur schlimmer.« Er nickte zur Gallery hin. »Sollen wir jetzt mal reingehen?«
    »Bist du etwa wütend, weil ich deinen Kuchen aufgegessen habe?«, versuchte ich ihn aufzuziehen, während ich unsere Sachen zusammenpackte.
    »Der Kuchen ist mir doch völlig egal.«
    »Ganz sicher?«
    »Natürlich. Vergiss den albernen Kuchen.«
    Er sah total gelangweilt aus. Ich biss mir auf die Zunge. Sag’s nicht, dachte ich. Aber irgendwie flutschte es doch aus mir heraus.
    »Du findest mich dick, nicht wahr? Aber ich werde die Pfunde, die ich während der Schwangerschaft zugelegt habe, schon wieder abspecken.« Ich wischte die Kuchenkrümel hinter die Speisekarte. »Ich habe schon etwas abgenommen.« Ich zog die Braue hoch: »Findest du mich nun dick oder nicht?«
    »Jessica, um Himmels willen! Auf diesen Unsinn werde ich gar nicht erst antworten.«
    Ich sah ihn an und lächelte hoffnungsvoll. Er biss an und lächelte zurück. »Gut, wenn es denn unbedingt sein muss: Du bist wunderschön.« Dann drehte er sich um und ging weg mit einer Bemerkung, die alles wieder kaputt machte: »Ist doch egal, wie viel du wiegst.«
    So wurden aus Mücken Elefanten, zumindest wenn wir nichts dagegen unternahmen. Einen Sekundenbruchteil zögerte ich. Dann hob ich die Hand und streichelte vorsichtig seine Wange. Mickey hielt meine Hand fest. Er drehte sie gedankenvoll um und sah mich an. Wie undurchschaubar er doch wirken konnte! Dann liebkoste er langsam die Innenfläche meiner Hand mit seinen Lippen. Ich spürte, wie mein Puls schneller wurde. Sorgsam drehte er den Ehering so, dass die dicken Diamanten außen saßen.
    »Eigentlich gebührt dir ein neuer Diamantring für das Baby. Einer von diesen – wie heißen sie noch? –« Ewigkeitsringen ».«
    »Ach, du hast mir schon so viel gekauft. Du musst mir jetzt nichts mehr kaufen.«
    »Und wenn ich Lust dazu habe?«
    Ich hörte die leichte Gereiztheit in seiner Stimme und lenkte ein. »Dann darfst du das natürlich. Du bist immer so großzügig. Aber das Schönste ist doch …«, lächelte ich ihn an, »dass du hier bist. Es ist so lange her, dass wir etwas zu dritt miteinander unternommen haben. Etwas Besonderes, meine ich.«
    Er setzte Louis wieder in den Buggy. »Ja, viel zu lange.«
    »Und ich wollte diese Ausstellung unbedingt sehen, du nicht auch?« Warum klang es nur immer so überheblich, wenn er mir zustimmte? Schlimmer als bei jedem
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