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Mordsschock (German Edition)

Mordsschock (German Edition)

Titel: Mordsschock (German Edition)
Autoren: Gaby Hoffmann
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rechter Zeigefinger nervös in das rechte Nasenloch und popelte. Treffer! Versenkt! Als der Notar zum Wesentlichen kam, zog sie ihren Finger wie einen Ausreißer erschrocken heraus und verschränkte die Hände im Schoß.
    „Mein Vermögen in Form von Aktien und Investmentfonds sowie mein Haus samt Inventar hinterlasse ich der Tochter meines verstorbenen Neffen Manfred Burmeister und seiner verstorbenen Frau Helen, der lieben Sophie, die Helens dritte Tochter Vicky großzieht. Meine für mich wertvollsten Besitztümer aber vermache ich als Zeichen meiner Zuneigung Helens zweiter Tochter aus ihrer nichtehelichen Beziehung, der lieben Nina ...“
    Vor Aufregung drehte ich die Tempos in der Tasche meiner Lederjacke zu tausend kleinen Kügelchen.
    „Sie bekommt mein Auto und meinen Kater Oscar.“
    Die Taschentuchkügelchen kullerten auf den Boden, dem Notar vor die Füße.
    „Oh, Verzeihung!“ Ich bückte mich und hockte nun halb unter dem Schreibtisch. Im Rücken spürte ich die verächtlichen Blicke meiner älteren Schwester. Das Auto, mit dem Tante Carlotta so gerne hin- und hergegondelt war, hatte seine neun Jahre auf dem Buckel. Und der fette Kater ... Na ja, typisch: Sophie, die dank ihres fleißigen Mannes Thilo sowieso schon in einem repräsentativen Einfamilienhaus am Stadtrand lebte, wurde von Tag zu Tag wohlhabender. Mein Traum, meine kleine Schwester Vicky zu mir zu holen, rückte in weite Ferne.
    „Schön, dass du jetzt auch ein Auto hast!“ Gönnerhaft tätschelte Sophie meine Schulter, als wir die Kanzlei verließen. Zufriedenheit spiegelte sich auf ihrem Gesicht, das mit den großen blauen Augen, den pfirsichfarbenen Wangen und den strahlend weißen, wie zu einer Perlenschnur aufgereihten Zähnen hinter den dezent bordeauxrot geschminkten Lippen einer ihrer Schlafpuppen glich, die sie als Mädchen geliebt hatte.
    Normalerweise war meine Schwester eine Meisterin im Nörgeln. Keine Ahnung, wie mein wirklich herzensguter Schwager Thilo ihre Launen ertrug. Ich jedenfalls hatte von klein auf mein eigenes ‚Anti-Sophie-Programm‘. Jene von Sophie gehütete Schlafpuppe beispielsweise ließ ich als Fünfjährige vom großen Bruder eines Nachbarjungen kahl rasieren und schmierte sie dann eigenhändig mit schwarzer Schuhcreme ein. Zwar war Sophie mit 16 schon aus dem Puppenalter heraus, trotzdem regte sie sich mächtig auf, weil ihre Kinder die Puppe erben sollten. Heute, 20 Jahre später, hatte Sophie noch keinen Nachwuchs in die Welt gesetzt, besaß aber das Sorgerecht für unsere kleine Schwester Vicky. Und die spielte, genau wie ich in ihrem Alter, lieber Fußball als mit Puppen.
    Sophies Absätze klapperten die schweren Steinstufen hinunter. ‚Klack-klack‘ hallte es. Ihr blonder, symmetrischer Pagenkopf wippte, ihre eierschalenfarbenen Hüften schwangen. Der Jil-Sander-Duft schwebte hinter ihr her. Das hanseatische Treppenhaus mit Stuckverzierungen und großzügigen Glastüren auf jeder Etage, an denen imposante Namensschilder diverse Anwaltskanzleien ankündigten, gab einen trefflichen Rahmen für sie ab.
    Es roch intensiv nach Putzmitteln. Ein Mann im grauen Anzug wartete vor dem Fahrstuhl. Höflich grüßte er. Sicher hielt er Sophie für eine erfolgreiche Anwältin und mich für ihre missratene Mandantin, die sie aus irgendeinem Sumpf rettete.
    Ich hätte den Fahrstuhl genommen, aber Sophie wollte vermutlich in den fünf Stockwerken ihre leichten Fettpölsterchen am Bauch abtrainieren, die sich vorsichtig in dem schmal geschnittenen Kostüm abzeichneten. Die Konsequenzen des guten Lebens! , dachte ich boshaft. Schon als wir Kinder waren, musste ich den Müll runterbringen, während Sophie Mutters Saucen abschmecken durfte.
    Als hätte Sophie meine Gedanken gelesen, drehte sie sich plötzlich um. „Du brauchst gar nicht so ein Gesicht zu ziehen! Schließlich bist du mit Tante Carlotta nicht mal blutsverwandt! Außerdem habe ich Verantwortung.“ Ihre gute Laune verbot ihr den sonst üblichen Verweis darauf, wie teuer der Unterhalt für Vicky sei und wie eine rotzfreche Elfjährige ihre Nerven strapaziere.
    Sophie stieß einen undamenhaften Seufzer aus, als wir unten ankamen. Die vielen Treppen forderten ihren Tribut, aber die Erbschaft weckte ihre großzügige Ader. „Gehst du auf einen Kaffee mit? Ich lade dich ein.“
    „Muss los! Bin schon zu spät dran!“ Ich stemmte die wuchtige Marmortür im Portal auf und atmete tief durch. Es war wie der Eintritt aus einer kühlen Käseglocke in einen
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