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Mordsschock (German Edition)

Mordsschock (German Edition)

Titel: Mordsschock (German Edition)
Autoren: Gaby Hoffmann
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belebten Bienenstock. Um mich herum schwirrte und summte es. Passanten hasteten mit schweren Einkaufstüten vorbei.
    Trotz der winterlichen Temperaturen kam es mir draußen wärmer vor. Die hohen Gebäude rahmten die Mönckebergstraße ein und schirmten sie vor eisigen Winden ab. Einen Straßenmusikanten hatte der Sonnenschein nach draußen gelockt. Er fiedelte mitten auf dem Gehsteig herzzerreißend auf einer alten Geige. In der Ferne ertönte ein Martinshorn. Ein Kind sprang in eine Schneematschpfütze im Rinnstein und wurde von seiner Mutter schimpfend herausgeholt. Ein Mann lief auf und ab, um den Leuten mit volltönender Stimme „die Botschaft von Jesus, dem Herrn“ zu verkünden. In einer Nische neben dem Hauseingang wärmte sich ein Bettler die Hände im zottigen Fell seines Schäferhundes auf einer zerschlissenen Wolldecke und murmelte monoton: „Bitteschön! Bitteschön!“ Von der Imbissbude neben dem Kaufhaus auf der anderen Straßenseite zog ein verlockender Bratwurstgeruch herüber.
    Ich legte eine Münze in den Hut des Bettlers.
    „Vergelt’s Gott, junge Frau“, bedankte er sich im gleichen monotonen Singsang.
    Sophie schüttelte den Kopf. Missbilligend zog sie die Schultern hoch. Ihre Körpersprache drückte aus, was sie dachte: Du wirst es nie zu etwas bringen!
    Ein langer Schatten fiel vor uns auf das Pflaster, rasch rief ich Sophie zu: „Tschüss, gib Vic einen Kuss von mir!“
    Vor dem Schaufenster nebenan hatte ein großer Mann gewartet. Er trat jetzt ins Licht der Februarsonne, die sich auf seinen glänzenden, schwarzen Haaren spiegelte. Der dunkle Mantel streckte die schlanke Gestalt, sodass er wie eine Insel zwischen all den eiligen Leuten auftauchte. Freudige Erwartung lag auf seinen glatt rasierten, olivfarbenen Gesichtszügen, die so perfekt das Bild des Latin Lovers mimten. Ehe ich etwas sagen konnte, presste Anthony mir einen feurigen Kuss auf die Lippen und saugte sich, ungeachtet der Menschenmenge, eine Weile an mir fest.
    Das tat gut, nach dem seriösen Muff. Ich schmeckte seine weichen Lippen, roch das herbe Aftershave. Sanft schob er seine Zunge in meinen Mund. Sie spielte mit meiner, kitzelte und liebkoste sie. Langsam und fest, dann schneller und schneller. Im Gleichtakt rasten unsere Zungen, verschmolzen zu einer Einheit. Mein Pulsschlag beschleunigte sich. Beben im ganzen Körper.
    Viel zu früh löste er seine Lippen, fasste mich um die Schultern und fragte: „Und?“
    „Ein Auto!“
    „Benz? Jaguar? Chrysler?“
    „Polo, neun Jahre alt, rostfrei.“
    Anthony lockerte seinen Griff, zog hörbar Luft durch seine etwas vorstehenden Schneidezähne, die er gerne hinter festgeschlossenen Lippen verbarg, weswegen er auch als interessanter Schweiger galt. Nur, dass er nie etwas wirklich Interessantes erzählt hatte. Aber diese südländische Macho-Optik erotisierte seine Person.
    „Und ...“
    „Ja?“ Ungeduldig legte er mit herrischer Geste seinen rechten Arm um meine Taille.
    „Ein Kater, acht Jahre alt.“
    Anthony verbarg seine Schneidezähne krampfhaft hinter festverschlossenen Lippen. Stumm und finster wie eine Auster ging er im Stechschritt neben mir durch den Pulk summender Menschen zum Parkhaus. Wortlos fuhr er mich im rasanten Tempo zur Redaktion.
    Geschäftshäuser, Banken, Patriziervillen, Läden, Restaurants, der Hauptbahnhof flogen an uns vorbei. Wir überquerten die Lombardsbrücke mit ihrem traumhaften Blick auf die von der Cityskyline eingerahmte Binnenalster. Verwaist ruhte sie, eine zarte Eisschicht als Bettdecke übergestülpt. Ihre Könige waren noch nicht zurück, aber bald würden die stolzen Alsterschwäne wieder majestätisch ihre Bahnen ziehen.
    Anthony drückte das Gaspedal durch, als könnte er mich nicht schnell genug loswerden. Er brauste den Mittelweg an den weißen Villen entlang in Richtung Außenalster. Das Schweigen im Auto wurde erwidert. Der Fluss lag im Winterschlaf. Nur gestört von einigen Spaziergängern, hart gesottenen Joggern, Radlern und hungrigen Enten.
    Wenn die Alsterfontäne ihr funkelndes Wasserspiel startete, erwachte das Leben. Ausflugsdampfer würden begeisterte Touristen befördern, zahlreiche weiße Segel würden sich im Wind blähen, schwitzende Ruderer würden mit verzerrtem Gesicht vorbeihasten, und ich würde bei einem Cappuccino in einem der Cafés am Ufer in der Sonne dösen.
    Anthony setzte mich vor dem gläsernen Bürogebäude in der Alten Rabenstraße ab. Von hier aus konnte man bis zum Fähranleger hinunter
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