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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee
Autoren: Reinhard Pelte
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Sie ja auch kommentiert, was soll da … «
    »Na gut«, beeilte sie sich. »Meiner Meinung nach sind Sie ein altmodischer Tugendbold mit zu viel saurer Moral.«
    Jung lachte gekünstelt. Ihre Jugend kam ihm auf einmal verdächtig vor. Ihr Tonfall berührte ihn merkwürdig. Er fühlte sich verkannt und angegriffen.
    » Tugendbold , altmodisch ?«, fragte er sarkastisch. »Wofür, glauben Sie, werden wir bezahlt?«
    »Dafür, Kriminelle zu fangen und sie ihrem Richter zuzuführen«, antwortete Charlotte. »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Und wie machen wir das?«, überging er ihre Frage.
    »Indem wir sie überführen und verhaften«, erwiderte Charlotte widerwillig.
    »Sie wiederholen sich, Bakkens.«
    »Was meinen Sie?«, fragte sie verständnislos.
    »Wir überführen und verhaften sie, weil sich das für eine zivilisierte Gesellschaft so gehört. Aber das Wie ist etwas völlig anderes. Es hat sich nach den Normen unseres Rechtsstaates zu richten, der sich auf die Werte christlich-abendländischer Kultur beruft. Das heißt – und nun hören Sie mal ganz genau zu – , das heißt, dass sich unser Tun an anderen Kriterien messen lassen muss als das von Kriminellen.«
    Jung zuckte innerlich zusammen. Im Grunde war er selbst nicht mehr davon überzeugt, was er hier predigte. Hatte er nicht gerade das beste Gegenbeispiel abgeliefert? War die Berufung auf Werte nicht blanker Unsinn, nur schöne Theorie? Der Erfolg und der persönliche Mehrwert hatten noch immer jedes Mittel geheiligt und der Mensch hatte diese Erkenntnis tief inhaliert. War das nicht überhaupt Teil seiner Natur? Schuld lud nur auf sich, wer sich erwischen ließ. Ein Blödmann. Zum Vergessen. Weg damit.
    »Soweit zu altmodisch und Tugendbold «, winkte er genervt ab.
    »Als da wären?«, blieb Charlotte unnachgiebig.
    »Was?«
    »Na, die Werte. Welche meinen Sie?«
    »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, zum Beispiel«, antwortete er ohne Überzeugung. »Das kennen Sie doch, oder?«
    »Ja, natürlich, Herr Pastor.«
    Jung lachte lautlos. Pastor, ach du großer Gott. Leise sagte er: »Und was ist daran falsch?«
    »Nichts als Gerede. Fangen Sie lieber mal an damit«, kam Charlotte wieder in Fahrt.
    »Mit was?«
    »Lieben Sie sich selbst. Dann kommt das andere von allein.«
    »Dazu müsste ich vergessen können«, seufzte er. »Nicht mal eine Flasche 59er Rauenthaler Baiken schafft das.«
    Ihn überfielen plötzlich furchtbare Selbstzweifel. Trank er etwa zu viel? War er dabei, seine Dämonen in Wein zu ertränken, anstatt ihnen die Stirn zu bieten und unter Kontrolle zu bringen? Zu viel Alkohol war nicht gut, sondern selbstzerstörerisch. Das musste man ihm nicht extra sagen. Aber in seinem Fall? War es nicht einfach nur eine lieb gewonnene Gewohnheit, von der er nicht lassen mochte? Sein Vater fiel ihm ein. Gewohnheiten bringen uns um . Das war einer seiner Wahlsprüche gewesen.
    Das Gespräch wurde ihm lästig. Er wollte es beenden. Charlotte hinderte ihn daran.
    »Saufen funktioniert nicht«, legte sie nach. »Das sollten Sie eigentlich längst begriffen haben, Chef.«
    »Ihr herber Charme ist überaus bezaubernd, Fräulein Bakkens.«
    »Gesülze hilft auch nicht, Herr Kriminaloberrat.«
    »Und was hilft, Frau Kommissarin? Noch einen Löffel von Ihrer Weisheit und ich bin satt.«
    »Arbeiten.« Ihr Ton war so, als müsse sie einem Kind sagen, es solle aufs Klo gehen, bevor es sich in die Hose pinkelte.
    »Fleiß ist die Wurzel aller Hässlichkeit«, spöttelte Jung unverdrossen. »Das sagt Oscar Wilde, nicht ich.«
    »Hören Sie doch auf damit. Sie sind nicht hässlich. Also könnten Sie ruhig mehr tun.«
    Jung merkte, dass es ihr ernst war. Seine Neigung, sich darauf einzulassen, war gering.
    »Vielen Dank. Aber das würde mich Kraft und Zeit kosten, die ich nicht habe«, antwortete er abweisend.
    »Dann werden Sie eben kräftiger. Arbeiten Sie schneller.«
    »Sie sind ziemlich naseweis«, verteidigte sich Jung. »Habe ich Ihnen das nicht schon einmal gesagt?« Er drehte den Kopf ab und sah aus dem Kabinenfenster.
    »Und Sie sind wehleidig.«
    »Reden Sie mit Ihren Eltern auch so?«, wehrte er sich.
    »Lassen Sie gefälligst meine Eltern aus dem Spiel. Die gehen Sie nichts an, absolut gar nichts.«
    Charlottes Stimme war eisig. Die Schärfe darin war neu. Er wollte zu einer Entgegnung ansetzen, als die Bordsprechanlage den Anflug auf Köln ankündigte. Er klappte den Mund zu und sah angestrengt nach draußen. Unter ihm funkelten die Lichter
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