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Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee
Autoren: Reinhard Pelte
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zurück.
    »Auf dem Herflug wollten Sie mir eine Geschichte erzählen«, wechselte sie abrupt das Thema. »Ich kenne das Ende noch nicht.«
    »Ja, richtig. Wo war ich stehen geblieben?«
    »Ihr Gefühl, das Sie nervös machte. In der Wohnung Ihrer Freunde.«
    »Freunde, nein. Bekannte. Ich ging nicht mehr hin. Ich fühlte mich von ihnen benutzt. Verarscht, um es mal drastisch auszudrücken.«
    »Das ist ja interessant. Wieso?«
    »Ich sagte ja schon, dass sie ein riesiges Tamtam um ihre Wohnung machten. Jedes Stück darin war Gegenstand langer Erzählungen über abenteuerliche Reisen, die sie zu seiner Beschaffung unternommen hatten. Der Preis war wichtig. Er wurde niemals ausgelassen. Meistens nur beiläufig und mit geheuchelter Schamhaftigkeit. Alles war natürlich sehr teuer, versteht sich. Im Windfang hing eine kleine, fast unscheinbare, aber kunstvoll geschnitzte Galionsfigur des historischen Seglers ›Panama‹. Ich hatte einen ganzen Abend damit verbracht, mir die Geschichte über den Erwerb der Figur und das Schicksal dieses Dreimasters anzuhören. Ich weiß es noch wie heute. Die Bark war am 20.   März 1872 auf einer Reise mit Kohle von Aberdeen nach Kopenhagen auf dem Skagenriff gestrandet.«
    »Das ist doch eine tolle Geschichte«, unterbrach sie ihn lebhaft.
    »Sie hatten die Figur in Australien bei einem Antiquar in Perth entdeckt. Sie kostete ein paar 1000 australische Dollar.«
    »Ach so«, Charlotte nickte mit dem Kopf. »Aber wer sich das leisten kann, warum nicht?«
    »Ja, aber bei meinem letzten Besuch war sie weg und durch irgendetwas Kleines in Gold ersetzt worden. Im Vorbeilaufen hatte sich diese Veränderung meinem Unterbewusstsein mitgeteilt. Das war der Auslöser meiner Unruhe.«
    »Und weiter? Was ist dann passiert?«
    »Na ja, als ich mich verabschiedete, entdeckte ich den Grund meiner Irritation und fragte, wo die hübsche Figur geblieben sei.« Jung nahm einen Schluck Wasser und sah aus dem Kabinenfenster in die schwarze Nacht.
    »Und? Wo war sie geblieben?«, drängelte Charlotte.
    »Sie haben sie entsorgt. Auf meine Nachfrage sagte meine Bekannte, sie habe einfach nicht mehr in ihr Heim gepasst. Den Ekel in ihrem Gesicht hätten Sie sehen sollen. Außerdem setze sich Staub in das feine Schnitzwerk. Mühselig zu säubern. Was sagt man dazu?«
    »Snobs, die gibt’s nun mal«, kommentierte Charlotte lapidar.
    »Ja, das weiß ich auch. Aber ich glaube, es steckte was ganz anderes dahinter.«
    »Was?«, fragte Charlotte neugierig.
    »Die äußere Pracht war die Dekoration, hinter der sie ihre wahren Verhältnisse versteckten. Man kann auch Probleme dazu sagen. Aber Probleme, die versteckt werden, fangen an zu stinken und werden immer hässlicher. Nach einer Weile muss eine neue Deko her, damit … «
    »Was stört Sie denn daran?«, unterbrach ihn Charlotte.
    »Dass ich meine Zeit damit verplempere. Probleme haben wir alle, mehr oder weniger. Unsere Möglichkeiten sollten wir für die Lösung nutzen, nicht für teure Versteckspielchen.«
    »Sie sind ziemlich moralisch drauf, Chef«, ereiferte sie sich. »Was ist denn, wenn die Probleme zu schwer wiegen? Wenn sie überhaupt keine Probleme sehen? Oder die Lösungen nicht in ihrer Macht stehen?«
    »Mag ja alles sein. Trotzdem. Etwas weniger Feigheit. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Besonders, wenn genug Geld da ist.«
    »Das kapiere ich nicht.«
    »Ich spreche von Verantwortung, Charlotte.«
    »Was hat das damit zu tun?«
    »Meine Mutter hätte ihnen Verschwendung vorgeworfen. Völlerei oder Selbstsucht trifft’s auch. Eine Todsünde. Unverantwortlich.«
    »In biblischen Zeiten war das vielleicht mal so. Aber heutzutage? Die Leute können mit ihrem Geld machen, was sie wollen. Wollen Sie ihnen das verbieten? Wo kämen wir denn da hin?«
    »Finden Sie es in Ordnung, ein Kunstwerk und ein paar 1000 Dollar in den Müll zu schmeißen?«
    »Australische Dollar, Chef«, verbesserte ihn Charlotte pampig.
    Jung lächelte säuerlich und lehnte sich zurück.
    »Okay«, beruhigte er sich. »Letztlich bescheißen sie vor allem sich selbst. Lassen wir’s dabei. Im Übrigen glaube ich, dass sie irgendwann doch noch bekommen, was sie partout nicht haben wollen.«
    »Was soll das sein? Das würde mich wirklich interessieren«, fragte Charlotte spöttisch.
    »Ach, was weiß ich.« Jungs Tonfall machte deutlich, dass er nicht mehr weiter über das Thema diskutieren wollte.
    »Und was hat das Ganze nun mit unserer Arbeit zu tun?«, fragte Charlotte
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