Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee
Autoren: Reinhard Pelte
Vom Netzwerk:
nach einer Weile nüchtern.
    »Gute Ermittler dürfen sich nicht ablenken lassen, müssen voll konzentriert bleiben. Man könnte auch sagen, sie müssen auf ihre Intuitionen achten. Die haben immer eine Botschaft für uns.«
    »Fragt sich nur, welche«, spottete Charlotte.
    »Genau. Das herauszufinden, ist unsere Aufgabe. Manchmal spielen sie Katz und Maus mit uns. Schwer, da durchzusteigen. Braucht viel Erfahrung. Und man muss sich selbst sehr gut kennen.«
    Jung nahm einen Schluck Wasser und stellte den Becher beiseite.
    »Was ist aus den beiden geworden? Hatten Sie noch einmal Kontakt zu ihnen?«, kam Charlotte auf seine Erzählung zurück.
    »Nein. Aber die Presse berichtete über sie. Der Mann war leitender Angestellter einer Bank. Sie kam irgendwann ins Schleudern. Er wurde der Veruntreuung von Kundengeldern beschuldigt. Er bekam eine Bewährungsstrafe und eine hohe Abfindung von seiner Bank. Dann wurde es still um ihn.«
    »Und die Frau?«
    »Während seines Prozesses versuchte er, sich damit zu verteidigen, dass er unter enormem Stress gestanden habe. Will sagen, er wusste nicht, was er tat. Der Stress war privater Natur. Seine Frau war gestorben. An Brustkrebs.«
    »Toller Mann«, sagte Charlotte angewidert. »Zu Krebs hätte ich allerdings etwas zu sagen.«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an«, ermunterte Jung sie lachend. »Ich bin ein Bewunderer Ihrer Fähigkeiten.«
    »Veralbern Sie mich nicht schon wieder. Ich … «
    »Das liegt mir gänzlich fern«, fiel er ihr ins Wort. »Ich möchte … «
    »Krebs ist eine todernste Sache, Chef«, unterbrach sie ihn. »Jedermann glaubt, das zu wissen.«
    »Glaubt?«, fragte Jung. »Ist es nicht so?«
    »Nein. Es verhält sich im Grunde ganz anders.«
    »Wie denn? Was meinen Sie?«
    »Krebs ist das Symptom missverstandener Liebe. Krebs hat nur Respekt vor der wahren Liebe. Symbol der wahren Liebe ist das Herz. Das Herz ist das einzige Organ, das vom Krebs nicht befallen werden kann.«
    Charlotte klang, als hätte sie die Sätze auswendig gelernt. Sie schwieg, als befürchtete sie, eine nähere Erläuterung geben zu müssen. Jung presste die Lippen aufeinander und nickte mehrmals mit dem Kopf.
    »Tja, die Liebe. Was soll man dazu sagen? Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes, sagt Oscar Wilde. Das ist doch Ihr Spezi, nicht wahr?«
    »Seien Sie nicht so kleinlich und nachtragend. Sagen Sie lieber was Vernünftiges über die wahre Liebe.«
    »Etwas Vernünftiges?«, lachte Jung verhalten. Nach einer Weile stellte er lapidar fest: »Die wahre Liebe ist kein Gefühl.«
    »Was denn sonst?«, fragte Charlotte mit Nachdruck.
    Jung ließ sich nochmals Zeit. Dann wandte er sich zu ihr um und sagte: »Die wahre Liebe ist ein göttliches Geschenk. Es beschert uns kein Gefühl, sondern etwas, dem wir nur ein einziges Mal in unserem Leben begegnen. Eine Gnade ohne Wiederholung. Entweder wir haben sie oder sie wartet noch auf uns. Die wahre Liebe versetzt uns in einen Zustand, in dem der Mensch sein Glück heraufziehen sieht. Ein Glück, das immer und ewig dauern wird. Die Verheißung ist unwiderstehlich. Die Liebe ist eine Macht, die auch vor dem Tod nicht in die Knie geht und die keine Hindernisse akzeptiert. Und obwohl sie in der Regel tragisch endet, macht sie uns … «
    Jung brach ab. Während Charlotte ihm zugehört hatte, waren ihre Gesichtszüge ausdruckslos geworden. Er konnte darin nichts lesen. Kein Verstehen, keine Kritik, keine Häme, keine Zustimmung, rein gar nichts. Der hymnische Ton, in den er unwillkürlich verfallen war, berührte ihn plötzlich peinlich. Er schloss den Mund und lehnte den Kopf zurück. Welchen Mist redest du da eigentlich, fragte er sich.
    »Genug davon«, fuhr er nach einer Weile mit aufgesetzter Munterkeit fort. »Warum sollte man Menschen lieben? Gibt es irgendeinen Grund dafür? Ich sehe keinen.«
    »Das ist doch Unsinn.« Charlotte war aus ihrer Erstarrung erwacht. »Tun Sie doch nicht so abgebrüht. In Wirklichkeit sind Sie auch nur so eine Art wehleidiger Softi«, fügte sie ärgerlich hinzu.
    »Wie kommen Sie denn darauf?«, lachte Jung verlegen. Charlotte hüllte sich in Schweigen.
    »Na gut«, lenkte er ein. »Aber bitte etwas präziser, Frau Kommissarin. Welcher Art?«
    »Ist doch egal«, ruderte Charlotte zurück. »Sie wollen das doch gar nicht wirklich hören. Schon gar nicht von mir. Ich handle mir nur Ärger ein.«
    »Ärger kriegen Sie, wenn Sie jetzt kneifen. Also machen Sie schon. Mein Sexleben haben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher