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Mordsdeal

Mordsdeal

Titel: Mordsdeal
Autoren: Ingrid Schmitz
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vielleicht erwartet. Aber das sind Spekulationen. Nein, ich möchte eher wissen, wo meine Wurzeln sind, ob Vater und ich etwas füreinander fühlen, ob wir außer der Hautfarbe etwas gemeinsam haben.«
    Mia nickte. Sie holte Block und Kuli. »Sag mir bitte alles, was du über deinen Vater weißt.«
    »Nur das, was auf dem Foto zu sehen ist«, antwortete Sameja.
    Mia sah darauf und notierte: schwarze, dichte Locken, dunkle Haut – sie stand auf und holte eine Lupe. »Seltsam, was ist das denn hier?« Mia sah auf jeder Wange drei senkrechte Narben, wovon die mittlere nur halb so lang war wie die anderen. »Sind die von einer Löwenpranke?«
    Sameja schlug sich an die Stirn. »Das habe ich ja total vergessen. Das ist sein Stammeszeichen. Meine Mutter erzählte mir mal, wegen dieser für sein Dorf ungewöhnlichen Zeichnung sollte er von einem Fetischeur, das ist ein Heiler, verflucht werden. Von wem er den Auftrag bekommen hatte, wusste sie nicht. Jedenfalls wurde gesagt, mein Vater würde mit diesem Stammeszeichen nur Unglück über das Volk bringen. In keinem afrikanischen Land sollte er vor dem Voodoozauber sicher sein, deshalb ist er mit einem französischen Freund nach Deutschland gekommen, um den Bann zu brechen. Und noch etwas: Sie nannten ihn hier Kalle. Der Nachname ist unaussprechlich. Meine Mutter hat ihn sich nie merken können – sagt sie.«
    »Wie war der Vorname?«, fragte Mia.
    »Kalle, in Afrika hieß er Kalla.«
    Einen Kalla kannte Mia auch mal. Der hatte Schuhgröße 50. Sie verschwieg es lieber, damit Sameja sich ernst genommen fühlte und sagte stattdessen:
    »Immerhin. Wie alt mag er heute sein?«
    Sameja grübelte. »So alt wie meine Mutter: 42 Jahre.«
    Mia war glücklich, so viele Informationen zusammenbekommen zu haben. Sie musste aber unweigerlich auch an ihren Vater denken, den sie sehr geliebt hatte und der schon lange tot war, und an ihre Mutter … Mia hätte heulen können. Eltern sind das höchste Gut, sie haben einem das Leben geschenkt. Sie kämpfte gegen die Tränen an und nahm das Foto entgegen.
    »Bitte, sei vorsichtig damit, das ist alles, was ich von meinem Vater habe – nur dieses eine Foto.«
    Mia schnappte sich ihren Blazer, der über dem Stuhl hing.
    »Komm, das ändern wir mal ganz schnell.«
    *
    Gitti öffnete die Tür des hohen Maschendrahtzauns mit einem Trick. Sie ging über die Platten zum Hauseingang und klingelte. An der leise summenden Fernsehkamera über der Haustür leuchtete eine rote Diode. Pah, den Prospekt hatte sie auch gesehen. War er von Bauhaus oder Obi gewesen? Sie wusste es nicht mehr genau, nur noch, dass es sich um eine Attrappe für 29,90 Euro handelte, zur Abschreckung der Einbrecher – schlecht gemacht. Hilla wollte aber vermutlich eher sie damit abschrecken. Seit dem Tod ihres Vaters hatten die beiden fürchterlichen Streit um die Erbschaft bekommen. Während Hilla glaubte, ihr Vater sei zu seinen Elektrikerzeiten Multimillionär gewesen, kannte Gitti die Realität und hatte versucht, sie auch Hilla beizubringen. Es half alles nichts, sie hatte sie weiterhin als Erbschleicherin und alles Mögliche bezeichnet. Sie nahm jedes neu angeschaffte Teil von Gitti zum Anlass, alles wieder aufzuwärmen und ihr vorzuwerfen, sie habe das Testament verschwinden lassen. Zufällig, und wirklich nur zufällig, kamen sie dann äußerst günstig an das kleine Doppelhaus zum Preis von fast einem. Gitti hatte so lange auf Heiner eingeredet, bis er sich bereit erklärte, in der anderen Hälfte für eine Übergangszeit Hilla wohnen zu lassen, die vorhatte, ihre Ausbildung im Ausland zu machen. Hilla nahm das zum Anlass, sich im Recht mit ihrer Vermutung zu fühlen. Sie hatte es ja immer gewusst, dass Gitti sich am Erbe bereichern wollte. Sie ließ den Ausbildungsvertrag als Altenpflegerin in England platzen und verteidigte ihr neues Zuhause wie eine Glucke ihr einziges Küken. Hilla hielt es dann auch nicht mehr für nötig, hier in Deutschland eine Ausbildung zu machen, schon gar nicht am Niederrhein. Noch nicht einmal vor der Haustür in Viersen reizte es sie, und so war sie den ganzen Tag zu Hause geblieben und verlangte Gittis Unterstützung. Heiner hatte Hilla gründlich den Kopf gewaschen und sie dazu gezwungen, sich zumindest um seinen alten und kranken Vater zu kümmern. Lag es nun daran, dass Hilla die Ungeschicktheit in Person war oder das Lebenslicht des Vaters ohnehin nur noch flackerte, er überlebte es nicht lange und Hilla lungerte wieder zu Hause herum
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