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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung
Autoren: Erich Weidinger
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siebzehn
Uhr, vor der Kirche!« Geduckt schlich sie weiter und ließ den Zettel achtlos
fallen, den ihr das Mädchen in die Hand gedrückt hatte. Schickt mir der Herr
einen verkleideten Engel, mit einem Heiligenschein aus Pappkarton?, dachte sie
verbittert, immer noch in der Hoffnung, der Herr möge ihr doch ein Werkzeug in
die Hand legen, einen Fingerzeig geben, wie sie seinen Auftrag ausführen
konnte. »Aus dem Weg!« Fast hätte sie einen mit Schellengeläut daherrasenden
Schlitten übersehen, in dem ein als Weihnachtsmann verkleideter Fahrer die
Zügel schwang. Der Schlitten stand auf Rädern, denn der wenige Schnee, der in
den letzten Tagen gefallen war, war von den Menschenmassen zu grauem Brei
zerstampft worden, der keine Schlittenkufe hätte gleiten lassen. Der Schlitten
zog an ihr vorbei, grinsende Gesichter der in Decken gehüllten Fahrgäste.
    Vorsichtig wickelte er den Christbaumbehang, den er aus
Deutschland bestellt hatte, aus und verteilte die Figuren vor sich auf dem
Ladentisch. Wenn dort in den Touristenzentren die Japaner ganz verrückt darauf
waren, warum sollten die Sachen nicht auch hier verkauft werden? Einmal der
Golf spielende Weihnachtsmann, der Weihnachtsmann als Harley-Fahrer.
    »May I have a look?« Er nickte. »You have more of these?« Schon
wanderten die Weihnachtsmänner von Hand zu Hand, Gekicher, Gegacker in einer
ihm nicht verständlichen asiatischen Sprache. Sein persönlicher Liebling, der
Bayernbär, mit weiß-blauem Maßkrug in der Hand. Gekreische, als er ihn vor sich
absetzte.
    »Yes, Madam. This one big. Twenty four, ninety five. Small one seven
ninety.« Er kam mit dem Einwickeln des Glasschmucks nun gar nicht mehr nach.
Sogar der im Maßkrug hockende Bayer, der ihm persönlich denn doch ein wenig zu
geschmacklos war, fand seine Käuferin.
    Verzagt schlich sie den Berg hinauf, dem Menschenstrom entgegen,
der jetzt den Berg herunterkam, von den großzügig angelegten Parkplätzen für
Busse und Pkws. Immer wieder stieß sie fast mit Menschen zusammen, denn ihr
Blick war starr zu Boden gerichtet. Noch immer hatte ihr der Herr kein Zeichen
gegeben, kein Werkzeug, das ihr erlaubt hätte, ihren Auftrag auszuführen.
Motorräder aus Holz. Musikantenstadl-Hüte. Ein Bub, gekleidet, als zöge er
gerade in den Krieg, drückte auf den Bauch eines Stoffbären, der an einem
Drehständer hing. Blechernes, quäkendes Gejodel erscholl. Ein angeblicher
Hufschmied drosch lautstark mit dem Hammer auf Eisen ein, während die billigen
Hufeisen aus industrieller Produktion zum Verkauf an den Wänden seines Standes
hingen. Heidnische Symbole auf dem Adventmarkt. Ihr drehte sich der Magen um.
Sie hielt inne, holte ihren Rosenkranz aus der Manteltasche und begann zu
beten, schrak aber auf, als sich lautes Motorengeräusch näherte. Sie senkte den
Kopf, betete weiter und begriff, dass ihr der Herr ein Werkzeug geschickt
hatte.
    Schnell verschwand die Massenware wieder unter dem Tisch, als
die Gruppe weitergezogen war. Bald würde die Lena kommen und ihn für eine
Stunde ablösen, dass er sich wieder aufwärmen und endlich essen konnte. So
schlecht war das Geschäft heute bisher nicht gelaufen. Was ihn langsam wirklich
zu ärgern begann, war der Gestank des Raclette-Standes schräg gegenüber. Jetzt
endlich war der Käse so richtig heiß geworden, und in ekelhaften Schwaden trug
der Wind den Geruch zu ihm herüber. Wo er doch Käse nicht ausstehen konnte. Und
nicht nur ihm ging es so. Ein paar potenzielle Kundinnen hatten sich bereits
die Nasen zugehalten und waren schnell an seinem Stand vorübergeeilt, ohne ihn
auch nur eines Blickes zu würdigen. So ging das nicht. Nächstes Jahr würde er
darauf bestehen müssen, einen Platz weitab von der stinkigen Käserei zu
bekommen, das verdarb einem ja völlig das Geschäft. Unruhig blickte er auf
seine Uhr. Die Lena war schon fünf Minuten zu spät. Von oben, vom Parkplatz
her, näherte sich das Dröhnen eines Traktors.
    Soeben war der Fahrer des Traktors aus seiner Kabine gestiegen,
während der Motor weitertuckerte. Hinter dem Zugfahrzeug lag eine Ladung
Christbäume, in Netzen eingefangen, auf einem Anhänger. Der Traktorfahrer hatte
sich einige Schritte von seinem Fahrzeug entfernt und debattierte dort, heftig
gestikulierend, mit einem Polizeibeamten, der ihm, so schien ihr, offenbar
untersagen wollte, in das gesperrte Marktgebiet einzufahren. Sie begriff, dass
ihr der Herr das Werkzeug geschickt hatte, dass sie aber schnell handeln
musste, solange
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