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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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auf einem Tisch eine Zeitung aufgeschlagen lag. Außerdem stach ihm ein Werkzeugkasten ins Auge, der auf einem Regal stand. Ohne lange zu zögern setzte er sich in einem Eck des Obdachlosenasyls auf den Boden. Er nahm die Zeitung heraus, die er heute in einem Tschecherl 17 hatte mitgehen lassen und die er sich zum Schutz vor der Kälte unter sein Sakko gestopft hatte. Sie war vom letzten Samstag. Da er nicht einschlafen konnte, begann er im flackernden Dämmerlicht den Leitartikel zu lesen:
    Die wirtschaftliche Not der letzten Jahre hat alle Stände ergriffen und insbesondere in jüngster Zeit einen Höhepunkt erlangt, der zum raschesten Handeln gemahnt, wenn die Gefahr hintangehalten werden soll, dass eine ganze Reihe von bürgerlichen Existenzen dem Untergang preisgegeben ist.
    Oprschalek dachte an den Streik der Schneidermeister, dem er sich so wie viele andere Schneidergesellen angeschlossen hatte. Dieser Ausstand war die Ursache für die Misere, in der er sich jetzt befand. Er war tagelang ohne Arbeit gewesen. Er war daheim herumgesessen, war zu Versammlungen gegangen, hatte sich betrunken und gehofft, dass die Bekleidungsfirmen, für die sein Meister und er arbeiteten, doch noch einlenken und ihre Leistungen ein bisschen besser bezahlen würden. Seine Frau hatte mittlerweile nervöse Zustände bekommen und ihm die Hölle heiß gemacht. Wann immer er daheim war, jammerte und schimpfte sie. Richtig hysterisch war sie vor lauter Angst geworden, delogiert zu werden, auf der Straße zu landen und zu verhungern. Vor nun fast zwei Wochen hatte er dann den Rappel bekommen und sie zum Schweigen gebracht. Endlich war Ruhe… Er rieb sich die Augen, die aufgrund der äußerst widrigen Lichtbedingungen tränten und las weiter:
    Es unterliegt keinem Zweifel, dass gerade der Gewerbestand eine der wichtigsten Stützen des Staates ist, da er eine Menge von Steuerträgern vereint. Geht dieser Mittelstand zugrunde, so ist die wirtschaftliche Not auf ihrem Höchstpunkte angelangt und für den Staat ist eine Berufsklasse verlorengegangen, die stets zu seinen treusten Anhängern zählt.
    Der kleine Meister verschwindet immer mehr von der Bildfläche und mit ihm geht ein Stand verloren, der einst ein beredtes Zeugnis für ein gesundes, wohlsituiertes Bürgertum war. Sein Niedergang ist in der Hauptsache auf den Umstand zurückzuführen, dass die Werkstätten für kleine Meister in den Städten von Oesterreich und insbesondere in Wien rapid abnehmen und kein Ersatz dafür geschaffen wird.
    Gerade in unserer Stadt werden in jüngster Zeit die alten Gebäude, in denen die kleinen Werkstätten untergebracht sind, demoliert und an ihrer Stelle Paläste erbaut, die nur große Lokalitäten enthalten, wofür Zinse eingehoben werden, die für einen kleinen Gewebetreibenden ganz unerschwinglich sind…
    »Dieser verdammte Kapitalismus…«, murmelte Oprschalek und ließ die Zeitung sinken. Anzünden, alles anzünden. So sollten die Proletarier, die kleinen Gewerbetreibenden und die zehntausenden Unterstandslosen auf ihre miserable Situation reagieren. Die Paläste der Reichen anzünden und demolieren. Mit einer gewaltigen, reinigenden Feuersbrunst müsste man den Kapitalismus ausmerzen. Sein Blick wanderte durch den schummrig beleuchteten Raum. Er registrierte voll Wut und Verachtung all die Elendsgestalten, die hier an den Tischen hockten. Auf schmalen Holzbänken eng aneinandergedrängt, saßen sie nach vorne gebeugt und versuchten zu schlafen. Einige schnarchten laut. In einem Gebäude, das ein ›wohltätiger‹ Kapitalist gestiftet hatte und für dessen Betrieb er bezahlte. »Wohltätiger Kapitalist…«, murmelte Oprschalek und schüttelte sich vor Unwillen. Das war in etwa so wie ein vegetarischer Löwe oder ein schwarzer Schimmel. Ein Widerspruch in sich, eine Fabelgestalt, ein Märchen. Und plötzlich hatte er eine Vision. Wie in Trance stand er auf und schlich durch den Saal zum Ausgang. Keine Menschenseele beachtete ihn. Leise öffnete er die Tür zum Vorraum, wo der ältere Mann, der als Pförtner arbeitete, an einem Schreibtisch saß. Auch er war nach vorne gebeugt, eingeschlafen über einer Zeitung. Oprschalek schlich sich hinter ihn, packte ihn bei den fettigen Haaren und schlug seinen Schädel mit voller Wucht auf den Schreibtisch. Einmal, zweimal, dreimal. Nach den ersten beiden Schlägen hatte der Körper des Mannes noch gezuckt, dann hing er schlaff und leblos im Sessel. Das Gesicht des Mannes war blutverschmiert, die
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