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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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Komponist vor vielen Jahren hier ebenfalls getan hatte: Sie ruhten sich aus. Während sie mitten in der friedlichen Natur dem Vogelgezwitscher lauschten, krachte auf der Ringstraße der erste Schuss. Die demonstrierenden Menschen brachte das dermaßen in Rage, dass sie anfingen, das Rathaus und alle umliegenden Gebäude zu demolieren. Dies wiederum nahmen die massiv vorhandenen Polizei- und Militärkräfte zum Anlass, gewaltsam einzuschreiten.
     
    Während es in der Innenstadt die ersten Verwundeten gab, keuchten Joseph Maria und Aurelia Nechyba über die Wildgrube zum langgestreckten Scheitel des Nussbergs hinauf. Von hier bot sich ihnen ein atemberaubender Blick auf die Stadt. Vom Aufstieg erschöpft und ziemlich verschwitzt, tranken sie kräftige Schlucke vom Gießhübler Mineralwasser. Als sie nach einer kurzen Pause nunmehr eben zwischen den Weingärten entlanggingen, sagte Nechyba zu seiner Frau:
    »Heut’ wollt ich partout keinen Dienst machen… ich hab so ein komisches G’fühl, dass die Demonstration böse enden wird. Die Leute haben eine solche Wut im Bauch, das ist unglaublich. Hunderttausende haben buchstäblich nix zum Fressen. Unlängst haben wir in einer Elendsunterkunft, wo wir eine Hausdurchsuchung gemacht haben, einen Buben gefunden, der sich unter größten Schmerzen am Boden g’wälzt hat. Ich hab sofort die Rettungsgesellschaft gerufen. Als die da waren und ihn ausg’fragt haben, hat er unter Tränen zugegeben, dass er vor lauter Hunger ein paar Zwiebeln, die oben am Kasten gelegen sind, gegessen hat. Drauf ist die Mutter ganz blass g’worden. Weißt, was das war? Das waren Blumenzwiebeln vom Vorjahr, die sie da oben vergessen g’habt hat…«
     
    Später, als sie vor einer Winzerhütte ein gemütliches, windgeschütztes Bankerl fanden, entkorkte Nechyba den Nussberger. Ein guter Wein, der ihm aber heute nicht recht schmecken wollte. Wie ihm überhaupt das ganze Picknick nicht sonderlich mundete.
     
    Zu seinen Füßen lag die riesige Stadt mit ihren 2 Millionen Einwohnern. In zahlreichen Straßenzügen fanden mittlerweile Straßenschlachten statt. Mit aufgesetzten Bajonetten rückte Militär gegen die aufgebrachten Menschen vor. Dazwischen gab es immer wieder Schießbefehle, die die Mannlicher Gewehre 146 der Soldaten tödliches Blei spucken ließen. Und während Franz Joachimsthaler tödlich in den Bauch geschossen, Franz Wögerbauer von einem Kavalleristensäbel der Schädel gespalten und Otto Brötzenberger von einem Bajonett erstochen wurde, verfiel Joseph Maria Nechyba, an die Wand des Winzerhäuschens gelehnt, in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
     
     
     
     

Epilog

a
    »Das Unglück beim Demonstrationszuge und in der heutigen Sitzung des Abgeordnetenhauses würde sich kaum zugetragen haben, wenn der große Fehler nicht begangen worden wäre, die alle Stände bedrückende Teuerung in Klassen einzuschachteln und die allgemeine Not zur Parteipolitik zu missbrauchen.«
     
    »Neue Freie Presse Nr. 16927«
    Freitag, 6. Oktober 1911
     
     
    Leo Goldblatt war draußen in Meidling und Hietzing unterwegs gewesen, um das Unwesen einer sich dort herumtreibenden Platte 147 zu recherchieren. Die Plattenbrüder hatten einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als sie unlängst in einem Hietzinger Kaffeehaus eine versammelte Gesellschaft von Offizieren, Einjährig-Freiwilligen und Unteroffizieren nötigten, ihren unmäßigen Konsum an Kognak zu bezahlen. Wären die Uniformierten der Aufforderung nicht nachgekommen, wären sie zusammengeschlagen worden. Goldblatt witterte eine interessante Geschichte und war deshalb in die Vororte hinausgefahren. Er hatte tatsächlich einen der Rädelsführer dieser Bande aufgespürt und zu einem ausführlichen Gespräch überreden können. Stolz hatte ihm der Strolch erzählt, dass er erst unlängst wegen Totschlags auf der Anklagebank gesessen hatte. Da die vom Gericht geladenen Zeugen und Geschworenen erfolgreich von Mitgliedern der Platte eingeschüchtert worden waren, wurde er freigesprochen. Mit schiefem Grinsen prahlte der Kerl: ›Wenn di mi verurteilt hätt’n, wären s’, nachdem i die Strafe verbüßt hätt’, in den Genuss meiner Liebesbeweise gekommen…‹. Goldblatt war erschüttert. So weit war es in diesem Staat gekommen! Da konnten Nechyba und die gesamte Sicherheitswache noch so erfolgreich im Kampf gegen das Verbrechen sein. Es half nichts, wenn die Justiz auf beiden Augen blind war und solche Strolche laufen ließ. Und weil er gerade
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