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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche
Autoren: Marcia Muller
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die gemeinsam für Kurse warb, die sie an die Frau und den
Mann zu bringen hoffte. Seit ein paar Wochen dachte ich schon daran, mich
vielleicht wieder ins gesellschaftliche Leben zu stürzen — neun Monate war ich
nun ungebunden und auch ohne großes Interesse an einer Beziehung. Und nachdem
der gute Abby mit seinen Ratschlägen gewöhnlich recht hat, war ich zu der
Überzeugung gelangt, es wäre eine gute Möglichkeit, in einem Kurs »Leute mit
gleichen Interessen« kennenzulernen. Leider klang das Angebot in diesem
Prospekt etwas seltsam, um nicht zu sagen: geradezu umwerfend, und ich war mir
gar nicht so sicher, ob ich denn Leute mit solchen Interessen überhaupt
kennenlernen wollte.
    Ich rief zu Jack hinüber: »Was hältst
du davon —›Spiritueller Umgang mit Waffen für sanftmütige Menschen‹?«
    Jack grunzte laut. Ich sah auf. Er
baumelte in äußerst unsicher wirkender Weise in der Nähe einer Felsspitze. Aber
er war noch nicht besonders hoch. Schnell wandte ich mich wieder meinem
Prospekt zu.
    »Da handelt es sich wohl um
Zen-Schießen«, sagte ich. »Auf diese Weise sollst du dir Freunde machen und die
Waffe meditativ gebrauchen.«
    Jack japste. Ich blätterte um.
    »Da ist ein anderer — »Begegnung mit
Seelenverwandten durch Visualisierung und Astrologien Nein, Moment. Der hier
ist es — ›Gewöhnung an den Tod. Sieh deinem unvermeidlichen Ableben ins Auge
und fühl dich wirklich gut dabei‹.«
    Ein Plumpsen. Ich fürchtete, Jack
könnte seinem Ableben ins Auge schauen müssen, ohne zuvor in den Genuß dieses
Kurses gekommen zu sein, und blickte auf. Er war vom Felsen heruntergesprungen
und wischte sich den Schmutz von den Jeans, während er auf mich zukam.
    Er sagte: »Wie wäre es mit einem neuen
Fotokurs?«
    »Ich muß leider der Tatsache ins Auge
sehen, daß ich lausig schlecht darin bin.«
    »Du wärst auch lausig schlecht bei der
Gewöhnung an den Tod. Und mit der Pistole meditieren klingt gefährlich.«
    »Sicher.« Ich warf den Prospekt
beiseite — und mit ihm die Hoffnung auf die Begegnung mit meinem
Seelenverwandten auf exotische Weise.
    Jack ging zum Kombi und holte die Tüte
mit unserem Lunch. Ich ließ mich gegen den Baumstumpf fallen und genoß den
frischen Tag.
    Es war klar, doch die Sonnenstrahlen
waren noch durch diesen feuchten Dunst gefiltert, der einem im nördlichen
Kalifornien anzeigt, daß der Regen noch nicht lange vorbei ist. Im Canyon
lastete die Stille. Normalerweise wimmelte der Gien Park — ein Erholungsgelände
im Süden des Wohngebietes gleichen Namens — von Kindern der Familien aus den
Landhäusern und kleinen Wohnungen aus der Umgebung. Heute dagegen hatten sie
sich wohl anderen Ferienfreuden der Weihnachtszeit gewidmet und die Kinos oder
das Exploratorium besucht. Vor allem der enge, dichtbewaldete Canyon nördlich
der Spiel- und Tennisplätze, in dem wir uns aufhielten, war leer und verlassen.
    Ich lehnte meinen Kopf an die rauhe
Rinde des dicken Stumpfs und sah hinauf durch die silbrigen, vom Wind bewegten
Blätter der Eukalyptusbäume rundum. Auf einem der obersten Zweige saß ein
Eichelhäher in einem Lichtbündel. Unter ihm zog ein Rauchschleier von
verbranntem Holz aus den Kaminen der Häuser und Eigentumswohnanlagen der
wohlhabenden Diamond Heights vorbei. Wären nicht die eckigen Umrisse ihrer
vorstehenden Balkone gewesen und das Brummen eines Busses, der sich die
O’Shaughnessy Street hinaufquälte, hätte ich mich in tiefster Wildnis wähnen
können statt in einer der größten Städte unseres Landes.
    Jack kam zurück, ließ sich auf die
Decke fallen und kramte in der Tüte herum.
    Ich sagte: »Na ja, wenigstens lebst du
noch.«
    »Die Felsen da sind doch nicht der Rede
wert. Ich sagte dir schon, Schwierigkeitsgrad eins.«
    »Wie viele Schwierigkeitsgrade gibt
es?«
    »Drei. Ein Fehler im Zweier kann dich
leicht in den Rollstuhl bringen. Und bevor du dich an den dritten Grad machst,
solltest du dich mit deinem Versicherungsagenten kurzschließen, um zu sehen, ob
das durch deine Lebensversicherung auch gedeckt ist.«
    »Meine Güte, was für ein Hobby.«
    Auf Jacks schmalem, zerfurchtem Gesicht
machte sich ein Grinsen breit. »Was soll ich sagen? Es macht Spaß, auf Messers
Schneide zu leben.«
    »Bei mir reicht es höchstens zum Sturz
von der Stuhlkante bei der Lektüre eines guten Horrorromans.«
    Er fing an, mit einem Korkenzieher zu
spielen. »Angst lenkt mich von meinen Problemen ab.«
    »War Weihnachten diesmal hart für
dich?«
    »In
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